Little From The Fish Shop (Malá z rybárny) ist ein tschechischer Puppenanimationsfilm, der mit seinen liebevoll ausgestatteten Figuren und der wunderbar detaillierten Welt zu überzeugen weiss. Regisseur Jan Balej erzählt das klassische Andersen-Märchen der kleinen Meerjungfrau, verlegt die Szenerie aber in eine moderne Hafenstadt voller zwielichtiger Gestalten. Die eher düstere Version dieser Geschichte ist darum weniger für Kinder geeignet.
Der Lebensraum des Meerkönigs ist verschmutzt. Abfall und Abwässer zwingen ihn und seine Familie die Heimat zu verlassen. Sie gehen an Land und eröffnen inmitten einer düsteren Hafenstadt einen Fischladen. Es ist keine schöne Gegend, sie trieft vor menschlichen Abgründen. Das ist auch der Grund, warum die kleinste der drei Töchter, Little, noch nicht auf die Strasse darf. Bis zu ihrem sechzehnten Geburtstag muss sie im Laden helfen, während ihre Schwestern, Middle und Oldest, Kunden beliefern. Little verguckt sich in ihrem jugendlichen Leichtsinn früh in einen Draufgänger, der jeweils mit lauter Elektro-Musik vor dem Laden parkt und Fisch kauft. Während ihr auch ein schmieriger Ober den Hof macht, hat sie nur Augen für den James-Dean-Verschnitt. Aber Little sieht nur mit rosaroter Brille, ignoriert die Tatsache, dass ihr Angebeteter Bordell-Besitzer ist und unternimmt alles, um ihm zu imponieren. Für die kleine Meerjungfrau ist klar, der Fischschwanz muss weg. Eine Hexe zaubert ihr menschliche Beine, die bei jedem Schritt wie tausend Nadelstiche schmerzen. In der Dramaturgie folgt Little From The Fish Shop Andersens Vorlage genau, womit klar ist, dass Little nicht glücklich werden kann und ihr Leben opfern wird.
Ganz in der Tradition tschechischer Puppenanimationsfilme wird Sprache und Mimik auf ein Minimum reduziert und dafür mit Gesten gearbeitet. Im Gegensatz zu Hollywoods Stop-Motion Grossproduktionen, in denen jede Gefühlsregung auf den Gesichtern dokumentiert wird, jeder Muskel beweglich scheint, beschränkt man sich hier in Punkto Gesichtsanimation auf die Augenlider. Für Hauptanimator Michael Carrington ist Blinzeln ein ausdruckstarkes Element, das auch dramaturgische Funktionen übernehmen kann. Synchronsprecher gibt es nicht, nur ein Erzähler begleitet die Zuschauer durch die Geschichte und kommentiert wortkarg die wichtigsten Ereignisse.
Little From The Fish Shop ist eine kleine Produktion, die von wenigen Künstlern innerhalb von 2 Jahren verwirklicht wurde. Carrington, hat ein ganzes Jahr alleine an der Animation gearbeitet, bevor er für ein halbes Jahr Unterstützung erhielt. Ein einsamer und anstrengender Job in der Dunkelheit der gedimmten Setbeleuchtung. Ein ständiger Kampf mit dem Kameramann, der dem Animator durch die Lichtbeschränkung die Sicht auf die Figuren stiehlt. Carrington war es besonders wichtig, möglichst alles von Hand zu bauen, zu animieren und die physische Komponente sichtbar zu machen. Und so ist sogar das Licht der Taschenlampe, als Little in der Kanalisation nach der Hexe sucht, kein digitaler Effekt. Innerhalb der Stop-Motion-Welt hat Carrington nicht viel für digitale Effekte übrig. Als Lehrer gibt er seinen Studenten den Merksatz “it generally always ends bad” mit auf den Weg. Entsprechend unzufrieden ist er mit den digitalen Wasserszenen am Ende des Films.
Aus Zeitgründen gab es selten eine Möglichkeit Szenen neu zu drehen. Und auch nur dann, wenn Carrington selbst mit seiner Arbeit sehr unzufrieden war. Regisseur Jan Balej hat die Produktion überwacht, das Design entwickelt, an der Set-Gestaltung und am Drehbuch mitgearbeitet, sowie die Dramaturgie gesetzt. Die animationstechnische Detailarbeit hat er hingegen Carrington überlassen, der seine eigene Welt in Balejs Welt projiziert hat. Die aufwändige Kamerafahrt in die Hafenstrasse zeigt, wie viel Detailarbeit in die Animation geflossen ist. Am rechten Bildrand schaut ein Bewohner aus dem Fenster, blickt einer Möwe nach, fast unkenntlich im hinteren Bereich spielt ein Strassenmusiker Saxophon, eine Dirne versucht erfolglos Kundschaft anzulocken, eine ältere Dame kehrt vor ihrem Ladenlokal den Dreck weg, ein Junkie sitzt in einer Ecke, Menschen diskutieren, fahren mit dem Mofa um die Ecke oder trinken Kaffee. Einen Arbeitsplan hat sich Carrington aber nicht gemacht. Er lege sich eine Art Choreographie zurecht, in der er alle Figuren nacheinander bewegt. Natürlich macht er keine Blind-Animation mehr, sondern nutzt die Technik um Frame für Frame kontrollieren zu können, ob er nichts verpasst hat. Neben den etwa 70 Figuren die im Film zu sehen sind, ist auch unglaublich viel Arbeit in das Set-Design geflossen. Viele Details wird man im Film kaum sehen, wie zum Beispiel die Zigarettenstummel eines Kettenrauchers, die auf dem Fenstersims herumliegen oder der angefangene Kuchen, der angebissen im Zimmer der Schwestern auf einem Tellerchen liegt.
Für die Meerjungfrau ist es eine Entdeckungsreise in die menschlichen Abgründe, eine Realität, die sie vielleicht mit verträumtem oder idealisiertem Blick wahrnimmt, aber von den Machern nicht beschönigt gezeigt wird. Es wird geraucht, gekokst, gedealt und Männer verschwinden mit exotischen Frauen in kleinen Kabinen. Dies sei darum erwähnt, weil der Film damit eben nicht für Kinder geeignet ist (Offiziell 12+). Gleichzeitig muss richtiggestellt werden, dass sich Little From The Fish Shop trotzdem in aller Form märchenhaft zeigt, kein flippiges, exzessives und explizites Werk ist, sondern sich aller Schönheit seines fantastischen Grundkerns bewahren kann. Stellvertretend dafür Littles Begegnung mit der rauchenden Hexe, die auf einem Zug durch die Kanalisation reist und sich surreal aufbäumt. Als sie Little Zigarettenrauch ins Gesicht bläst, erinnert sie unweigerlich an die Raupe aus Lewis Carrolls “Alice im Wunderland”.
Produzent: Nelly D. Jencikova
Koproduktion:Miracle Film (CZ), Marlen Media Group (SK), Les Trois Ours (FR)
Regie: Jan Balej
Drehbuch: Ivan Arsenjev, Jan Balej
Chef-Animator: Michael Carrington
Designer: Jan Balej
Kostüme: Radka Balejova
Schnitt: Patrik Pas
Ton: Michael Holubec
Musik: Chapelier Fou, Yann Tiersen