Es liegt auf der Hand, dass man als Animationsblogger für Animationsschulen, die ihre Werke kurz nach der Fertigstellung im Internet veröffentlichen, besondere Sympathie entwickelt. Die berühmte Filmakademie Baden-Württemberg (demzufolge auch das Animationsinstitut) verfolgt diesbezüglich den gegenteiligen Weg, ihre Filme erst nach der jeweiligen Festivalauswertung ins Internet zu bringen, was mehrere Jahre dauern kann. Aber mit ihrem kürzlich eingerichteten YouTube-Channel beweist die Filmaka guten Willen, sich dem modernen Zeitgeist und der digitalen Welt zumindest etwas zu öffnen, auch wenn es bislang auf dem Kanal nur alte Werke und Trailer zu sehen gibt. Da Animationsfreunde aber von ungeduldiger Natur sind, hatten wir von ANIch die Idee, die neuen Filme aus Ludwigsburg immerhin auf Textbasis genauer vorzustellen, inklusive Interview mit den Machern, den genauen Festivalterminen und dem Trailer. Wir bedanken uns an dieser Stelle herzlich bei der Filmakademie Baden-Württemberg für die freundliche Unterstützung. Den Anfang machen wir mit dem Abschlussfilm Harald von Moritz Schneider. Den anderen Abschlussfilmen des Jahrgangs – The Wedding Cake, Ophelia, 4th of July und Contrast – werden wir in Kürze in der Kolumne “Fresh from Filmaka” eigene Artikel widmen.
Der Kurzfilm Harald wurde bereits erfolgreich an internationalen Festivals aufgeführt und gewann beispielsweise an der diesjährigen SIGGRAPH 2013 den Preis als “Best Student Project Runners-Up”. Ausserdem ist er als bester Kurzfilm für den animago AWARD 2013 nominiert worden. Neben einem ausführlichen Interview mit Moritz Schneider und allen bislang bekannten Festivalaufführungen (im In- und Ausland) findet ihr am Ende des Artikels den Trailer zum Film.
ANIch: Mit welcher Anfangsidee oder Zielsetzung nahm Harald als Projekt seinen Anfang? Was war für dich der spannendste Aspekt an der Geschichte?
Moritz: Die Anfangsidee war „Harald ist erfolgreicher Wrestler, der von seiner Mutter gemanaged wird. Er würde aber lieber Blumen züchten.“ Auf diese Idee habe ich von den Mitstudenten eine größere Reaktion bekommen als auf andere, die ich vorgestellt habe, was schonmal ein gutes Indiz dafür war, dass es sich lohnen könnte daran weiterzuarbeiten.
Visuell spannend fand ich das schräge Setting; Wrestling lockt auf den ersten Blick nicht gerade mit stimmungsvollen Bildern, wie man sie bei einem verwunschenen Wald o.ä. gleich vor Augen hat. Eine hässliche Sportumkleide aus den 80ern z.B. als stimmungsvolles Set zu zeigen, das hat mich als Herausforderung gereizt. Auch weil ich da das Gefühl hatte, nicht visuell vorbelastet oder eingenommen zu sein durch andere Animationsfilme, die ich schon gesehen hatte.
Trotzdem findet man im Entertainment Wrestling eine Ästhetik vor, mit der ich arbeiten konnte: Die Ikonographie und Farben sind sehr plakativ, da sich jeder Kämpfer verkaufen muss und als eigene Marke sofort ins Auge stechen will. Zarte Töne haben da – nicht nur visuell – wenig Platz.
Man könnte das auch als Spiegel der erfolgsorientierten Gesellschaft betrachten; dann hat das für mich einen realen Bezug, was mir als Filmemacher die Möglichkeit gibt, eine Haltung zum Ausdruck zu bringen, die über den vordergründigen Mutter-Sohn-Konflikt hinausgeht. Solche Gedanken haben mich motiviert, den Film zu machen. Und eine leise Figur wie Harald zu erzählen, die Blumen liebt in einer Welt aus Fäusten und Glamour und es am Ende allen Erwartungen zum Trotz schafft sich durchzusetzen, das macht Hoffnung.
Wie lange hast du an dem Projekt gearbeitet von der ersten Idee bis zur Abgabe?
Insgesamt habe ich 2 Jahre und 3 Monate an diesem Film gearbeitet. Eigentlich war es kürzer geplant, ich habe dann aber nach einem dreiviertel Jahr schon gemerkt dass mehr Zeit nötig werden könnte und habe die Möglichkeit länger daran arbeiten zu können bewilligt bekommen. Dafür habe ich zugesagt den Film in stereoskopischem 3D zu machen. Rückblickend bin ich sehr froh darüber, nicht nur der 3D-Stereoskopie wegen.
Im Abspann sieht man eine beeindruckende Liste von Helfern. Wie war es, ein solch großes Team zu leiten? Gab es besondere organisatorische Hürden zu meistern?
Ein Team von der Größe habe ich zum ersten Mal geleitet. Man darf es sich aber nicht so vorstellen, dass alle, die dabei waren, gleichzeitig daran gearbeitet haben und von Anfang an feststanden. Organisatorisch wurde es immer dann spannend, wenn sich einzelne Teile der Produktionspipeline zeitlich hingezogen haben und infolgedessen Leute ausgefallen sind, die man für danach eingeplant hatte. Zum Glück gab es aber auch immer wieder Leute, die das Projekt interessant fanden und plötzlich dabei waren – meistens dann, wenn man nicht mehr damit gerechnet hat. Ich bin heute noch froh über all die Mitarbeit, die ich bekommen habe. Mit anderen Leuten zusammen zu arbeiten, dass ist einfach nochmal besser als für sich allein an einem Rechner.
Worin bestanden die Herausforderungen beim Projekt (erzählerisch, visuell oder technisch)?
Eine Herausforderung gleich am Anfang war es, die Geschichte so zu schreiben und pitchen, dass alle Wendungen funktionieren und rückwirkend Sinn machen im Bezug auf die Figuren. Am schwierigsten war es, den Showdown so zu inszenieren, dass der Zuschauer zwar überrascht wird, trotzdem aber noch rechtzeitig vor der Mutter ahnt, dass etwas kommt, damit genug Luft bleibt für den Humor im Moment des Schocks. Für mich persönlich war die größte Herausforderung, den Gesamtberg der noch zu erledigenden Arbeit zu überblicken und gleichzeitig für mich selber die Ruhe für einzelne Arbeitsschritte wie Animation oder Lighting zu finden.
Technisch kam die größte Herausforderung mit der Entscheidung mitten in der Produktion von Maya mit Vray auf Softimage XSI mit Arnold zu wecheln fürs Rendering. Die Konvertierung aller 70 animierten Szenen von Maya zu XSI erforderte es, eine automatisierte Pipeline zu scripten, die auch nachträgliche Updates zulässt. Dafür hat der Render & Pipeline TD Michael Heberlein das Alembic-Austauschformat im Beta-Stadium benutzt, es war also ein Haufen Arbeit die noch reingesteckt werden musste, die man vorher nicht wirklich gut abschätzen konnte. Am Ende hat das alles zum Glück funktioniert, und der Arnold-Renderer war es zum Glück wert, weil er sehr Artist-freundlich konzipiert ist. So konnte ich in kurzer Zeit viele Leute, die wie ich vorher noch nie mit XSI und Arnold gearbeitet hatten fürs Lighting einlernen.
Hattest du spezielle Vorbilder oder Referenzen für deinen Film?
Mit Wrestling, insbesondere aus den 90ern, habe ich mich natürlich beschäftigt. Was mich daran reizte sind vor allem die Designs, bei denen ich persönlich nie genau weiß ob sie ernst oder ironisch gemeint sind, weil sie immer sehr plakativ sind. Das Rosa von Haralds Anzug ist auf jeden Fall inspiriert durch Bret „Hitman“ Hart.
Sag uns bitte kurz, welche Programme zum Einsatz kamen.
Maya (Modeling, Rigging, Animation), Photoshop & Mudbox (Texturing), Softimage XSI + Arnold (Lighting, Rendering), Houdini (Simulationen), Nuke (Compositing), Flash (Animatic), After Effects (Motion Abspann), Premiere (Schnitt), ProTools (Tonaufnahme, Sounddesign), Logic (Musik).
Vielleicht die wichtigste Frage: Gibt es schon Termine, wann und wo dein Film gezeigt wird (In- und Ausland)?
Beim 15. Internationalen Kurzfilmfestival Bunter Hund in München (17. bis 20. Oktober) wird Harald im Wettbewerb laufen und zu sehen sein. Kurz vorher läuft er außerdem am Beyond 3D Symposium in Karlsruhe (4. Oktober). Ansonsten stehen noch Screenings in England (Encounters Short Film & Animation Festiva, Bristol), USA (San Pedro International Film Festival, San Pedro) und Rumänien (anim’est International Animation Film Festival, Bukarest) auf dem Plan. Man kann sich auf der Facebookseite des Films über weitere Termine auf dem Laufenden halten.
Mit deinem Film transportierst du das Phänomen der überehrgeizigen “Eiskunstlaufmutter”, die durch ihr Kind eigene Ambitionen ausleben will, in ein neues Sportsetting und treibst dabei die Charakterisierung des Mutterstereotyps auf die Spitze. Es fällt einem schwer, in der Mutter mütterliche Eigenschaften zu entdecken. War das deine Intention?
Für mich geht es bei dem Film in erster Linie um die Entwicklung der Hauptfigur Harald, der lernen muss für seine Liebe – seine Blumen – zu kämpfen. Erst in dem Moment, wo er über sich selbst (und damit seinen rein friedliebenden und sanftmütigen Charakter) hinauswächst, wird er zum Helden und kann den Konflikt aus eigener Kraft lösen. Den Antagonisten der Geschichte so einseitig selbstsüchtig darzustellen erhöht den Widerstand, auf den Harald trifft und damit die Dringlichkeit etwas ändern zu müssen. Denn mit sanftmütiger Diplomatie oder Liebe ist gegen diesen Antagonisten nichts auszurichten.
Dass es ausgerechnet noch die eigene Mutter ist, treibt den Konflikt noch eine Stufe weiter nach oben. Denn bei jedem anderen Gegner hätte Harald ja durchaus die Fähigkeit sich körperlich zu wehren – aber bei der eigenen Mutter? Das Phänomen der „Eiskunstlaufmutter“ greife ich aber sicherlich auf, es ist als Motiv den meisten bekannt und schafft so einen Bezug zum Stoff.
Harald dagegen entspricht dem Archetyp des missverstandenen, friedliebenden Monsters, das anhand seines Erscheinungsbildes in eine Rolle hineingedrängt wird, die er selbst nicht ausstehen kann. Das erzeugt Mitleid, weil er scheinbar selbst nicht im Stande ist, an seiner Situation etwas zu verändern. Nichtsdestotrotz hat man das Gefühl, dass dir am Ende der Twist/der Gag wichtiger war als deine Hauptfigur.
[Spoilerwarnung!] Tatsächlich war mir der Twist ein besonderes Anliegen, weil er die Hierarchie zwischen dem Zuschauer, der Mutter und Harald auf den Kopf stellt. Ich finde das sehr interessant. Ich mag es, wenn wir als Zuschauer am Anfang noch für Harald hoffen, dann ihn bemitleiden und genau in dem Moment wo wir ihn fast aufgegeben haben, weil wir glauben ihm im Kopf einen Schritt voraus zu sein und selbst keinen Ausweg mehr sehen, belehrt er uns eines Besseren und befreit sich aus eigener Kraft von der Mutter. Nicht nur sich, sondern auch uns. Wir haben ihn als jemanden abgestempelt, der zu langsam und unselbständig ist, aber in Wirklichkeit ist Harald ein sehr tiefgründiger Hauptcharakter.
Auf der einen Seite ist dieses Ende sehr radikal und ich habe meine Zeit gebraucht bevor ich mich dazu durchringen konnte. Aus Haralds Sicht ist der Schritt konsequent: Die Mutter zwingt ihn schon eine ganze Weile zu etwas, das er mehr schlecht als recht will. Er hat es mitgemacht, weil sie seine Mutter ist. Damit kann Harald leben. Als ihm aber mit der Blume die einzige Freude, der einzige Freund, genommen wird und schließlich noch darauf herumgetrampelt wird, ist ab einem gewissen Punkt das Maß voll und Harald entschließt sich zu einem grundlegend verändernden Schritt. Am Ende soll das Gefühl bleiben, dass wir Harald gegenüber wohlwollend gesonnen sind, er aber alleine zurechtkommt und uns nicht mehr braucht (wie noch in der Mitte der Geschichte, wo man ihm gerne helfen würde). Damit gehen wir aus dem Film raus.
Die Szene, in der Harald allein in der Umkleidekabine sitzt, sich duscht und merklich versucht, einen Ausweg aus seiner Situation zu finden, bleibt besonders in Erinnerung. Auch das abschließende Bild mit dem glücklichen Harald und seinen Pokalen. Was sind deine Lieblingsszenen?
Die beiden genannten auf jeden Fall auch. Mir gefällt außerdem die Szene, in der die Mutter nach einem kurzen Anflug von Unschlüssigkeit fies lachend das Schild von der Blume abreißt, sehr gut. Danke an Ringo Klapschinsky für die Animation.
Die Lichtgestaltung und technische Umsetzung des Lightings sticht aus dem Film heraus. Kannst du uns dazu genaueres erzählen?
Die farbliche Dramaturgie hatte ich recht früh analog zu den Szenen geplant, eine Idee davon war dass man sich die Wrestling-Arena-Situation zunutze macht, man kann ja hier die Farbe des Lichts sehr extrem der Stimmung anpassen ohne dass es gewollt wirkt. Vor allem rot haben wir benutzt um die zunehmende Dominanz der Mutter zu zeigen, während sich Haralds Szenen eher im Grün-Bereich abspielen. Bei der Umsetzung in 3D hat mir Johannes Flick sehr geholfen, den Stil des Lightings weiter zu definieren: Zur „normalen“ Global Illumination haben wir sehr konsequent Kantenlichter eingesetzt, um die Charaktere in der Szene herauszuheben, wie in einem Cartoon die Outline, was ja auch zum Stil des Films passt. Für diese Lichter wurden dann alle indirekten Bounces ausgeschaltet, da sonst die Lichter total ausgebrannt wären und ewig gerendert hätten.
Um die Wrestling-Atmosphäre rüberzubringen, haben wir außerdem noch volumetrische Lichter an die Scheinwerfer gepackt, diese haben aber wiederum keinen Einfluss auf die Figuren und Sets sondern sind lediglich für die Lichtkegel da, die den nebligen Look in der Arena suggerieren und dabei helfen dem Bild eine Grundfarbe zu verleihen. Dadurch, dass der Film in 3D Stereo gemacht wurde, wäre es schwierig gewesen diese Effekte erst im Compositing einzubauen. Trotzdem hat Martin Minsel als Lead Compositing TD nochmal eine Schippe draufgelegt und stereo-konforme Blitzlichter und Linsenreflektionen gebaut. Interessant war dabei die Frage, wo man für die Stereoskopie die Linsenreflektionen positioniert. Da sie normalerweise in der Linse entstehen, müssten sie sich immer vor dem Motiv befinden, was aber in der Stereowahrnehmung irritiert und die Wahrnehmung der 3D-Tiefe verringern kann. Deshalb haben wir die Lichtschlieren im Raum an der Stelle der Lichtquelle positioniert und Verdeckungen vermieden.
Abschließend noch ein paar Worte zu dir: Wie kamst du zur Animation und erzähle bitte kurz von deiner Zeit in Ludwigsburg.
Eigentlich wollte ich schon direkt nach der Schule in Richtung Animation gehen. Mit einem Studium hat es aber nicht gleich geklappt, also habe ich erstmal eine betriebliche Ausbildung zum Mediengestalter für Bild und Ton gemacht. Die ist eher breit gefächert, aber immer wenn es kleinere Flash- oder After Effects-Animationssequenzen zu machen gab, war ich da hinterher, sie machen zu dürfen. Dann habe ich es nach der Ausbildung nochmal versucht und es hat geklappt. Wenn also jemand davon träumt Animation zu studieren, nicht beim ersten Mal aufgeben falls es nicht gleich klappt, manchmal liegt es auch am Zeitpunkt.
Was an dem Studium in Ludwigsburg super ist, ist dass man plötzlich umgeben ist von Leuten, die die Leidenschaft für Animation teilen und von denen jeder andere individuelle Stärken mitbringt. Im Gegensatz zu vielen anderen Schulen arbeitet man am Animationsinstitut weitgehend autodidaktisch anhand von Projekten, deren Inhalt und Zielsetzung man selbst bestimmt. Das heißt Techniken und Software werden zwar gelegentlich über Workshops für ein paar Tage „angeteasert“, die Bereitschaft, sich in unbekannte Gefilde zu stürzen und sich Dinge selbst beizubringen ist aber unverzichtbar, das ist auch das Tolle, das man dazu ermutigt wird Dinge auszuprobieren. Ich habe z.B. im ersten Jahr einen Puppentrickfilm gemacht, dann mich mit digitalem Legetrick und VFX beschäftigt und habe dann erst in der zweiten Hälfte des Studiums überhaupt richtig mit 3D angefangen.
Harald ist dein Abschlussfilm. Wie sehen deine Pläne für die nahe Zukunft aus? Wo siehst du dich in fünf oder zehn Jahren?
In naher Zukunft will ich bei Filmen oder filmnahen Projekten mit künstlerischem und qualitativem Anspruch mitarbeiten, aufbauend auf meinem Studium im Bereich Preproduction und visuelle Konzepte für 3D, in der Produktion will ich in Character Animation und Modelling weitere Erfahrung sammeln. In 5 Jahren will ich am Konzept und Design von mindestens einem Film oder Game maßgeblich mitgewirkt haben. Das ist auch die langfristige Richtung.