Seit der mexikanische Regisseur Guillermo Del Toro als kreativer Berater und ausführender Produzent bei DreamWorks Animation mitmischt, ist zweifelsfrei eine qualitative Konstante eingekehrt, die den Filmen des Studios merklich gut tat. Mit den Kollegen von io9 sprach der Regisseur – der mit Pans Labyrinth vielleicht das schönste, beeindruckendste und brutalste Filmmärchen aller Zeiten schuf – über die Fehler, die Filmemacher machen können, wenn sie Stoffe für Kinder entwickeln und wie er und DreamWorks Animation versucht haben, diese bei Rise of the Guardians (Hüter des Lichts) zu vermeiden:
io9: Was ist der größte Fehler, den man begehen kann, wenn man über und für Kinder schreibt?
Guillermo Del Toro: Nun, ich denke, es fängt damit an, dass man einen Hauch von Dunkelheit in die Geschichte mit einfließen lassen sollte. Viele Filmemacher machen diese keimfreien, quietsch-bunten, ewig fröhlichen Kinderfilme, aber was eine Geschichte wirklich benötigt, ist ein dunkles Element. Im Falle von Kung Fu Panda 2 war es ein psychotischer, soziopathischer Bösewicht. Im Falle von Rise of the Guardians haben wir Pitch, der ein unglaublich anspruchsvoller und artikulierter Kerl ist, der versucht, deine Angst zu kontrollieren. Im Falle von Puss in Boots hatten wir mit Humpty einen durch und durch neurotischen Schurken, der aber in der Lage war sich zu verändern und somit auch Gutes zu tun.
Ausserdem sehen die Menschen nicht, dass all diese Seiten auch in Kindern stecken. Kinder sind neurotisch, setzen sich mit Ängsten auseinander und werden mit feindseligen Impulsen von den Erwachsenen um sie herum konfrontiert. Filme sollten sich dessen bewusst sein und daraus Fabeln kreieren, die sich mit diesen Dingen auseinandersetzen.
io9: Haben Kinderfilme die besten Schurken?
GDT: Ich weiß nicht, ob ich es so formulieren würde. Hitchcock pflegte zu sagen: “Je besser der Schurke, desto besser der Film.” Und Hitchcocks Schurken sind in manchen Filmen herausragend. Einige James-Bond-Bösewichte ebenso. Und Superheldenfilme sind ohnehin nur so gut wie ihre Superschurken.
io9: Was ist der Unterschied zwischen einem Monsterfilm und einem dunklen Märchen?
GDT: Der Unterschied ist minimal. Ich denke, dass Horrorgeschichten ursprünglich von Märchen stammen, in gewisser Weise. Sie teilen sich eine Menge Gemeinsamkeiten. Ich denke, der Unterschied ist tonal. Märchen enthalten mehr magische und humorvolle Elemente, während Horrorstories mehr existenzielle Gefühle und Ängste enthalten. Letztlich sind sie verwandte Melodien, die auf unterschiedliche Weise gespielt werden.
io9: Gibt es ein Limit, wie düster ein Film für Kinder sein darf? Und glaubst du, Animationsfilme werden klassischen Kinderbüchern immer ähnlicher und entfernen sich somit von dem üblichen Bild des typischen Cartoons?
GDT: Ein Meister der Kinderliteratur ist, wer die Dunkelheit der Welt erkennt und akzeptiert – wie Roald Dahl. Er schrieb einige brutale Passagen in The BfG (deutsch: Sophiechen und der Riese). Wirklich sehr, sehr gruselige und gewalttätige Momente in The Witches (Hexen hexen). Und so weiter und so fort. Er hat wirklich vielen Kindern das Fürchten gelehrt. Er schaffte es, die Grenzen zwischen Kindergeschichte und Erwachsenenmärchen zu sprengen. Ich denke, es gibt einige von denen, insbesondere in den östlichen Kulturen. Wie Tausendundeine Nacht. Viele dieser Geschichten sind erschütternd. Die Leute vergessen auch, dass ein Großteil der Geschichten, die die Brüder Grimm sammelten, sich tatsächlich an Erwachsene richteten. Die Leute denken, “Oh, das waren Geschichten für Kinder” – aber nicht zu Beginn. Aber ja, um deine Frage zu beantworten: Es kann auch zu düster werden. Das war eine der Herausforderungen bei Rise of the Guardians. Wir wollten das Gleichgewicht wahren. Es sollte unterhaltsam und mitreissend sein.
Im weiteren Verlauf des Interviews geht Del Toro konkreter auf Rise of the Guardians ein und erläutert, wie es ihnen gelang, aus einer Coca-Cola Werbeikone wieder eine Märchenfigur zu machen. Er geht zudem auf die visuellen Besonderheiten des Films ein und offenbart, worin die Gemeinsamkeiten mit Superheldenfilmen wie The Avengers liegen. Das ganze Interview findet ihr auf io9.