Entschuldigt die reißerische Überschrift, aber als ich heute Nachmittag eine gewisse Meldung in den amerikanischen Medien las, wußte ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Nein, nicht aufgrund der News “Elmo ist schwul” – schließlich verkörpert Elmo ein dreijähriges Kind und hat ganz andere Dinge im Kopf als solch Erwachsenenkram. Es ist der Umstand, dass Kevin Clash, der Puppenspieler, der Elmo seit 28 Jahren zum Leben erweckt, vorgeworfen wird, eine sexuelle Beziehung mit einem Minderjährigen geführt zu haben und sich nun alle wie die Geier drauf stürzen, betrogen fühlen oder um die Unschuld ihrer Kinder bangen.
Aussage gegen Aussage
Aber beginnen wir von vorne: Kevin Clash ist homosexuell. Eigentlich keine große Sache und tangiert Elmo nicht im Mindesten (oder sind Barney Stinson oder Mister Spock aufgrund ihrer Schauspieler plötzlich schwul und ich hab es verpasst?). Manchen (konservativen) Medien und Lesern scheint das jedoch fast mehr auszumachen, als der Vorwurf des Kindermissbrauchs. Dass hier ein geschiedener Mann und Vater einer Tochter gegen seinen Willen geoutet wurde, interessiert dagegen eher weniger. Weiter im Text: Im Juni dieses Jahres hat ein 23-jähriger Mann Vorwürfe gegen Clash erhoben, der Puppenspieler hätte vor sieben Jahren eine sexuelle Beziehung mit ihm (einem damals Minderjährigen) geführt. Clash selbst weißt diese Anschuldigungen von sich und spricht von “falschen Vorwürfen” und “Verleumdung“.
Heute hat die Produktionsfirma Sesame Workshop bekannt gegeben, dass sich Kevin Clash aufgrund der Vorwürfe beurlauben ließ, um Schritte zu unternehmen, seinen Ruf zu wahren. Das Unternehmen untersuchte den Fall gründlich, traf sich mehrmals mit dem Kläger und kam zum Schluss, dass die Vorwürfe “unbegründet” wären. Es hätte zwar eine “persönliche Beziehung ohne Bezug zum Arbeitsplatz” gegeben, Clash hätte zudem “schlechtes Urteilsvermögen” bewiesen und “Unternehmenspolitik in Bezug auf Internetnutzung” missachtet, aber er hätte sich keines Verbrechens schuldig gemacht. Clash dazu: “Ich hatte eine Beziehung mit dem Kläger. Eine zwischen zwei Erwachsenen und ich bin zutiefst enttäuscht, dass er (der Name des Klägers ist nicht bekannt) es als etwas anderes darstellt.”
Sesamstraße ohne Elmo?
Nun darf man davon ausgehen, dass die Sache kein schnelles Ende finden wird. Somit bleibt die Frage, wie lange die Sesamstraße ohne ihren Superstar auskommen muss? Scheinbar gar nicht, denn der Sesame Workshop sagte dazu: “Elmo ist größer als eine Person und wird auch weiterhin ein integraler Bestandteil der Sesamstraße bleiben, um Kinder auf der ganzen Welt zu lehren und zu inspirieren, so wie er es die letzten 40 Jahre lang tat.”
Nur um das Offensichtliche mal auszusprechen: Der Junge von damals wartet sieben Jahre, um sich schließlich mit einer Anwaltskanzlei, die sich auf medienwirksame Fälle von Kindesmissbrauch spezialisiert hat (Andreozzi and Associates), beim Sesame Workshop und Kevin Clash zurück zu melden. Interessant. Ich möchte betonen, dass ich weder Kindermissbrauch noch die hier thematisierte Beziehung, in welcher Form sie auch immer stattgefunden hat, gutheiße. Nur stinkt hier etwas gewaltig zum Himmel.
Die Wahrheit tut weh
Dazu kommt, dass einige Kommentare auf amerikanischen Seiten sich lesen, als ob die Verfasser aus allen Wolken fielen, weil ihr geliebter Elmo “plötzlich” keine Kinderfernsehikone mehr ist, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Erst Armstrong und nun Elmo. Die Helden fallen schneller als die Herbstblätter. Wo sind die Zeiten, als man noch überlebensgroße und unfehlbare Götzen verehren konnte, die frei von niederen Instinkten waren? Um Morpheus mal zu zitieren: “Welcome to the real world.”
Wie groß wird wohl der Schock ausfallen, wenn die gleichen Leute erfahren, dass Elmo in den ganzen Jahren eine Hand im Hintern hatte?
(via Sesamestreet, Washington Post, ABCNews, uvm.)