Nach “Coraline” bringt das Animationsstudio Laika mit “ParaNorman” den zweiten abendfüllenden Stop-Motion-Film in die Kinos und überzeugt mit unglaublich flüssigen Bewegungen und hochdetaillierten Figuren und Settings. Inhaltlich geht man mit Zombies, Geistern und Hexen erfrischend mutig zur Sache, ist aber aufgrund der Horror-Thematik etwas zu „heavy“ für die ganz kleinen Zuschauer.
Norman ist ein Freak. So steht es an seinem Spind in der Schule. Hingeschmiert vom Schulrowdie. Völlig unrecht haben seine Mitschüler aber nicht, das weiss auch Norman. Neben seiner ohnehin schon ungewöhnlichen Vorliebe für alte Zombiefilme, kann er sich nämlich mit Toten unterhalten. Zum Beispiel mit seiner Grossmutter, die als schwebender und durchsichtiger Geist auf dem Sofa „sitzt“ und strickt. Weil Norman für seine paranormalen Fähigkeiten keine Beweise vorbringen kann, ist er für seine Mitschüler eben ein Spinner, der sich nur wichtig machen will. Aber auch Vater, Mutter und die pubertierende Schwester haben Mühe, Norman seine aussergewöhnliche Begabung abzukaufen, denn auch sie sehen nur einen Jungen, der Selbstgespräche führt. Immerhin, der pummelige Mitschüler Neil hängt sich an seine Fersen und die beiden Aussenseiter werden Freunde. Als eines Tages Normans Onkel Prenderghast, ebenfalls ein Sonderling und Einsiedler, den Kontakt zu ihm sucht und ihm klar macht, dass seine Fähigkeiten nicht einzigartig sind und er das kleine Städtchen Blithe Hollow vor einem 300-jährigen Fluch bewahren muss, der in Erfüllung zu gehen droht, ist der Junge mit dem hochstehenden Haar ganz schön verwirrt.
Als Filmheld ist Norman natürlich kein Aussenseiter. Kinder, die Tote sehen können (The 6th Sense) und mysteriöse Visionen haben (Shining), sind zumindest im Horror-Genre nicht ganz so aussergewöhnlich – im populären Animationsfilm hingegen schon. Als Horror-Komödie konzipiert, hat es Laikas ParaNorman etwas schwer, sein Zielpublikum zu finden. Wenn in der ersten Szene ein alter Zombiefilm parodiert wird, mit bedrohlichem Türkratzen, gruseligem Stöhnen und kreischendem weiblichen Opfer, so ist das für die Erwachsenen herrlich komisch, für die ganz jungen Zuschauer aber vielleicht etwas zu „heavy“. Laika macht eben Filme für „mutige Kinder“ – und Erwachsene, die Abwechslung vom quietschbunten Hollywood-Animationsalltag brauchen. Wie schon bei Coraline bringen sie den jüngeren Zuschauern ein Genre näher, das für diese Altersklasse eigentlich Tabu ist: Grusel und Horror. Tim Burton und Henry Selick verlegten ihre Animationsfilme (The Nightmare before Christmas, Corpse Bride) zwar auf den Friedhof, blieben aufgrund der Musical-Thematik aber realtiv sanft. Die Altersgrenze für ParaNorman auf 8 oder gar 6 Jahre zu setzen, ist verfehlt. Frühestens ab 10. (Basel geht sogar noch einen Schritt weiter: ohne Eltern ab 13). Denn wer mit seinen Kindern in den Film spaziert, muss dann doch etwas abwägen, ob der Sprössling das Treiben auf der Leinwand auch als Ulk versteht. Klar ist: Grusel ist im Trend. Mit Genndy Tartakovskys Hotel Transsilvanien und Tim Burtons Frankenweenie, stehen bald weitere Animationsfilme mit Monster-Thematik an.
Eins sei hier noch klargestellt: ParaNorman ist in erster Linie eine herzige Komödie und ein gutes Stück davon entfernt, richtig bedrohlich oder brutal zu sein. Lässt man die Genre-Diskussion bei Seite, ist der Film in seinem Kern nämlich eine ganz konventionelle Geschichte über einen Aussenseiter, der an seinen Aufgaben wachsen kann und vom Freak zum respektierten Helden wird. Getragen wird die Geschichte von zahlreichen Elementen des klassischen Horrorfilms. Da schlurfen Zombies stöhnend durch die Strassen und ein wütender Mob versucht die Andersartigen vorurteilig zusammenzutreiben und zu lynchen. Hinzu kommen gelungene Hommagen, zum Beispiel an John Carpenters Halloween und Sean S. Cunninghams Friday the 13th, genauso wie F.W. Murnaus Nosferatu. Auch die Protagonisten entsprechen klaren Stereotypen, als wären sie dem Horrorfilm der 80er-Jahre entnommen. Angefangen bei den verständnislosen Eltern, der vom Schönheitswahn besessenen Schwester und ihr muskulös-dümmliches Love-Interest, wie auch der Schulrowdie, der vom lauten Draufgänger zum Angsthasen wird. Alles im Kleid der Parodie. Wobei das Drehbuch auch die eine oder andere amüsante Überraschung im Ärmel hat. Zur Erklärung des Fluchs wird die Geschichte zu einem fulminanten und emotionalen Finale getragen, leider ist die Hinführung und Aufgabenstellung für die Protagonisten, zur Lösung des Problems, etwas gar plump geraten. Der Unterhaltung schadet dies aber nicht.
Was Laika im technischen Bereich leistet, ist schlicht herausragend. Die Animationen sind so flüssig geworden, dass man sich zweimal versichern muss, dass es sich wirklich um einen Stop-Motion-Film handelt. Dazu kommt ein so unglaublicher Detailreichtum in den Gesichtern der Figuren, in den Kleidern und Kulissen, dass es eine wahre Freude ist. Mit dafür verantwortlich ist der erstmalige Einsatz eines 3D-Farbdruckers, wodurch die Haut der Figuren nicht mehr übermalt werden muss und somit auch Licht hindurchscheinen kann. Genau hier kommt auch der Vorteil der Dreidimensionalität zum Tragen, wenn sie den Zuschauer während des Films zur Set-Besichtigung einlädt. Wer nach effektvollen Pop-Out-Effekten lechzt, kann sich den Preiszuschlag hingegen getrost sparen. Ganz besonders beeindruckend ist auch die Umsetzung der Gravitation, mit der Computeranimationen auch weiterhin so ihre Mühe haben. Mit echten Figuren hat man in Punkto Schwerkraft sicher einen Vorteil; aber wie Laika die trägen, schlurfenden Zombies hinbekommen hat, das ist eine Augenweide.
Die Regisseure Chris Butler (Mitarbeit bei Coraline und Corpse Bride) und Sam Fell (Regie bei Tale of Despereaux, Flushed Away) haben ganze Arbeit geleistet. Mit viel Liebe zum Detail setzen sie die Kameras in ungewöhnlich schräge Positionen, imitieren so das Genre und sorgen damit für einen speziellen Look. Dazu tragen auch die schief designten Objekte und die leicht gequetschten (wortwörtlichen) Charakterköpfe von Character Designerin Heidi Smith bei. ParaNorman ist ein visuell wahrlich beeindruckendes Stop-Motion-Abenteuer geworden.