Zauberer existieren nicht
Sylvain Chomets Hommage an Monsieur Hulot ist ein magisches Werk der Animationskunst. Die fein ausgearbeiteten Charaktere erwecken die Aura des französischen Meisterregisseurs Jacques Tati wieder zum Leben und lassen in ihrer gezeichneten Form für Chomet genügend Platz, seinen eigenen Stil einzubringen. «L’Illusionniste» ist eine beeindruckende Symbiose von alt und neu auf medialer wie auch spiritueller Ebene.
Tatischeff ist ein Illusionskünstler der alten Schule. Ausgerüstet mit Zylinder, Hoppelhase und unzähligen Gegenständen, die er mit flinken Fingern aus seinem knallroten Anzug hervorzaubert, versucht er routiniert und mit viel Hingabe sein Publikum zu beeindrucken. Ein Publikum, das im besten Fall aus einer alten Oma und einem hochnäsigen Bengel besteht, die seine Taschentricks sofort durchschauen. Einen vollen Theatersaal sieht er nur, wenn vor ihm eine Boyband Teenager zur Ekstase treibt und er Backstage brav auf seinen Auftritt wartet, mit der Gewissheit, dass sich die hormongeladenen Zuschauer bei seinem Auftritt längst verdrückt haben werden. Tatischeff ist für den Veranstalter unrentabel – so wird er entlassen und hält sich fortan mit schlecht bezahlten Jobs an Betriebsfeiern über Wasser. Als er Bekanntschaft mit einem trinkfreudigen, aber gastfreundlichen Schotten macht, verschlägt es ihn auf dessen Heimatinsel, wo er in in einer Bar endlich wieder einmal vor staunenden Zuschauern steht. Darunter befindet sich auch ein armes Mädchen, das sich zwischen Dielen-Schrubben und Geschirrspülen voll und ganz in den magischen Tricks verliert. Mit kindlicher Freude staunt sie über die versteckte Münze, die Tatischeff hinter ihrem Ohr entdeckt, und hält die von einem Windstoss davongetragenen Gänsefedern für einen echten Schneesturm. Für sie ist klar: Solche Kräfte hat nur ein echter Zauberer. Mit einer grossen Portion Selbstvertrauen folgt sie dem alten Mann in die Grossstadt, in der sie trotz Sprachbarrieren zusammen in eine kleine Wohnung ziehen…
Die Tochter von Jacques Tati hat in der Schublade ihres Vaters ein unverfilmtes Originaldrehbuch gefunden und dieses in die Hände von Sylvain Chomet gelegt, der vor sieben Jahren mit seinem Erstlingswerk Les Triplettes de Belleville für Aufsehen gesorgt hatte. Eine Wahl, die passender nicht hätte sein können. Mit leicht vorgebeugtem Gang und zu kurzen Hosen erweckt Chomet Tatis Kultfigur Monsieur Hulot wieder zum Leben. Nicht wortlos, aber ebenso wortkarg lässt er ihn durch die ruhige Geschichte stolzieren. Herausgearbeitet wird hier jedoch nicht der tolpatschige Antiheld, sondern eine potentiell reife Schauspielleistung in gezeichneter Form. Hommage-trächtig, allein durch die Auferstehung des 1982 in Paris verstorbenen Tati, den man in diesem Animationsfilm nicht durch die Kopie der Klassiker ins Rampenlicht stellt, sondern wahrlich neues Leben einhaucht. Als die Hauptfigur unerwartet in eine Kinovorstellung von Mon Oncle (1958) stolpert und sich für wenige Sekunden als Monsieur Hulot in multipler Form betrachtet, ist dies ein Moment tiefster kinematografischer Wahrheit. Zwei Räume und zwei Zeitebenen, die parallel existieren. Ein beiläufiger Zen-Moment, der das Aufbäumen des untergehenden Zauberers bricht und ihn zum Abtreten bewegt. Tatischeff als aussterbende Art des Varieté-Künstlers in einer schnelllebigen Welt, ist fehl am Platz. Ähnlich seinem Ebenbild, das von der automatisierten Technik überfordert ist. Der Schauspieler Tati nur eine Illusion auf der Leinwand und die flüchtige Existenz Tatischeffs nur dem animierten Bild geschuldet.
Doch bis dahin stellt sich der Zauberer unerschrocken der modernen Welt und lässt sich selbst von den gescheiterten Berufskollegen nicht abschrecken, die längst ihr letztes Hemd verkaufen mussten, vereinsamten und sogar an Selbstmord denken. Tatischeffs temporäres Glück ist das verträumte Mädchen, welches ihm wie eine Tochter Gesellschaft leistet und von seinen magischen Fähigkeiten überzeugt ist. Die neuen Schuhe, das hübsche Kleid und den warmen Mantel kann sich der Zauberer aber nur leisten, weil er sich in neuen Jobs versucht, dabei sogar im Schaufenster eines Warenhauses landet. Ein wahrer Ausverkauf seiner Zauberkunst. Er hat jedoch immer die Hoffnung, die Illusion des Magischen in den Augen des Mädchens aufrecht erhalten zu können. Doch wie das Medium Film ist auch die Illusion nur eine vorübergehende Zerstreuung, und die Rückkehr in die Realität unvermeidbar, was ihn schlussendlich eingestehen lässt: „Zauberer existieren nicht“.
Sylvain Chomet erzählt die Geschichte in grossartigen Bildern und beeindruckenden Animationen. Mit viel Feingefühl für die einzelnen Charaktere kreiert er einen realistischen Look, ohne vollständig auf die überzeichnete Darstellung seines letzten Films verzichten zu müssen. Während sich die Figuren nur mit wenigen Worten verständigen, liegt die Kraft von L’Illusionniste in deren Gestik und Mimik, der magischen Musik und in den komischen Elementen des Alltags – ganz im Sinne von Jacques Tati.