Shakespeare für Nanologen
„Gnomeo&Julia“ verwandelt Shakespeares Tragödie in eine familienfreundliche Komödie – mit Happy End. Zwar wurden die Figuren und die Geschichte über die verfeindeten Clans aus dem grossen Klassiker übernommen, jedoch liegt der Fokus hier stark auf populärkulturellen Bezügen und formelhaften Gags. Auch wenn man, von den anspruchsvoll modellierten Gartenzwergen abgesehen, keine echte Überraschung erwarten darf, so bietet dieser Animationsfilm kurzweilige und amüsante Unterhaltung.
Frau Montague und Herr Capulet wohnen direkt nebeneinander und können sich, trotz ihrer geteilten Leidenschaft für kitschige Gartendekoration, überhaupt nicht ausstehen. Gleich ergeht es ihren Keramikgartenzwergen, die, sobald kein Mensch mehr in der Nähe ist, lebendig werden und hinter dem Haus den Nachbarschaftsstreit weiterführen – Rotmützen gegen Blaumützen. Da werden wilde Rasenmäherrennen gefahren, Blumen geköpft und Brunnen vollgesprayt. Als der blau bemützte Gnomeo eines Nachts die hübsche Julia aus dem Clan der Rotmützen erblickt, verliebt er sich sofort in sie. Auch Julia ist dem Schönling nicht abgeneigt, und einer glücklichen Zukunft stünde nichts im Wege, wäre da nicht der Hass zwischen den beiden Familien. Die Lage spitzt sich dramatisch zu, als aus den fiesen Streichen langsam aber sicher Ernst wird, der den Tod eines Gartenzwergs fordert…
Was bei Shakespeare der tragische Selbstmord des Liebespaares ist, erreicht in Gnomeo&Julia bereits mit Tybalts – nur vorübergehendem – Tod beim Rasenmäherrennen seinen dramatischen Höhepunkt. Schluss ist da aber noch lange nicht. Der Animationsfilm von Arc Productions (ehem. Starz Animation), unter Elton Johns Produktionsfirma Rocket Pictures produziert und in vielen Ländern von Walt Disney vertrieben, will sich auf keinen Fall mit einem düsteren Ende schmücken. „There’s got to be a better ending than that“, meint Gnomeo im Zwiegespräch mit einer Statue des englischsprachigen Lyrikers. Und so ist es: Schlussendlich rattern die Verliebten auf einem Rasenmäher in den Sonnenuntergang und Tybalt tanzt, wieder zusammengeklebt, mit seinen Artgenossen im Abspann.
Von der Tragödie zur Komödie. Familienfreundlich, lustig und modern will diese Romeo-und-Julia-Adaption sein. Lediglich ein Vorhang, der zu Beginn geöffnet und am Ende wieder geschlossen wird, lässt durchscheinen, dass die berühmte Vorlage vom meistgespielten Bühnenautor stammt und einen literarischen Anspruch vorweisen kann. Immerhin die wichtigsten Personen hat man beibehalten; und auch der elterliche Wunschverlobte Paris und Pater Lorenzo sind – wenn auch in leicht variierten Rollen – in ihrer ursprünglichen Funktion in die Geschichte gewoben; einmal als Elton John-Verschnitt, einmal als rosaroter Plastikflamingo Featherstone. Die Anleihen an das Original halten sich ansonsten in Grenzen, wenigstens die berühmte Balkonszene durfte nicht fehlen. Vielmehr hat man populärkulturelle Verweise einfliessen lassen, die die kleinen Zuschauer kaum erkennen können, Erwachsene aber Schmunzeln lassen. So stolziert ein Gartenzwerg im knappen Borat-Badeanzug ins Bild, und der Laptop trägt, ganz nach dem Vorbild des bekannten Apfels, ein Bananen-Logo. Zusätzlich wurden einige Filmzitate eingestreut, bei der die bekannte Rosenblüten-Szene aus American Beauty (1999), neben den Verweisen auf Tiger&Dragon (2000) und Finding Nemo (2003), das offensichtlichste ist.
Liebe besiegt Hass, so die Botschaft von Gnomeo&Julia, nur vergisst man allzu schnell, dass zwei verfeindete Gruppen grosse Opfer bringen müssen, bevor auch nur ein Funke Einsehen und Versöhnungswillen aufglimmt. In Shakespeares tragischem Stück wird gerade diese Komponente durch den Tod der Verliebten explizit vor Augen geführt, während es beim Zwergenkrieg vor allem Scherben zum Aufwischen gibt. Aber Gnomeo&Julia will nicht belehren, sondern unterhalten. Darum versucht man zu jeder Zeit ein Gagfeuerwerk zu zünden, was auf bescheidenem Niveau sogar funktioniert – in der englischen Fassung noch besser als in der deutschen. Ozzy Osbourne, als Synchronstimme des Betonhirschs Faun, ist – obwohl nur in einer kleinen Rolle – eine ausgezeichnete Wahl. Andere Gags, wie die beiden Hausnummern „2B“ und „nicht 2B“ funktionieren ohnehin nur in der Originalsprache.
Besonders gute Arbeit hat das Animationsstudio geleistet. Die Keramikgartenzwerge haben eine raue Oberfläche, die Farbe scheint aufgepinselt und einige Lackschäden sind erkennbar, so dass sie trotz der als computeranimiert erkennbaren Umgebung tatsächlich im eigenen, realen Garten stehen könnten. Auch musikalisch kann sich der Film hören lassen. Sir Elton John höchstpersönlich hat sich mit Texter Bernie Taupin ans Piano gesetzt und, in seinem typischen Stil, einige Ohrwürmer aus der Feder gezaubert. Da die Lieder relativ kurz gehalten sind und die Stimmung passend einfangen, fallen sie nie negativ auf.
Obwohl es Interpretationen der berühmten Geschichte wie Gartenzwerge in Frau Montagues Garten gibt, obwohl Gnomeo&Julia das Happy End auf die Stirn geschrieben steht und den einzelnen Nebenfiguren – deren Charakterzüge für Clan Blau und Rot wenig innovativ beinahe dupliziert wurden – etwas wenig Platz einräumt, sorgt der Animationsfilm dennoch für lockere und kurzweilige Unterhaltung.
GNOMEO&JULIA (2011)
Grossbritannien, USA, 84 Minuten
STUDIO: Arc Productions, Rocket Pictures
REGIE: Kelly Asbury
DREHBUCH: Andy Riley, Kevin Cecil, Kelly Asbury, Steve Hamilton Shaw, u.a.
MUSIK: Chris Bacon, James Newton Howard, Elton John
STIMMEN (e): James McAvoy, Emily Blunt, Jason Statham, Ozzy Osbourne, Ashley Jensen, Michael Caine, u.a.
STIMMEN (d): Bürger Lars Dietrich, Maren Rainer, Ekkehardt Belle, Helmfried von Lüttichau, Anke Engelke, Jochen Striebeck, u.a.
VERTRIEB: Walt Disney Studios Motion Pictures Switzerland
DVD: 21.07.2011