Masamune Shirows Mangavorlage ist ein Science-Fiction-Klassiker und überzeugt mit seiner Geschichte um genmodifizierte Menschen zur Weltverbesserung auch 27 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung. Production I.Gs 13-teilige Anime-Serie “Appleseed XIII” punktet auf inhaltlicher Ebene, legt den Fokus nicht nur auf Action, sondern auch auf die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten Deunan und Briareos. Gewöhnungsbedürftig ist hingegen der Look, der computeranimierte Bilder auf die gezeichnete Vorlage trimmt, und dabei stellenweise, besonders in den Animationen, sehr minimalistisch zu Werke geht.
Man schreibt das 22. Jahrhundert. Die Erde ist von Weltkriegen gezeichnet und die Hälfte der Menschheit wurde ausgelöscht. Die Hoffnung auf einen Neuanfang liegt in der futuristischen Metropole Olympus, regiert von der künstlichen Intelligenz Gaia. Auf der Suche nach einem langfristigen Frieden, wird ein Sozialexperiment vorangetrieben: mit gentechnisch veränderten Menschen soll ein Paradies auf Erden erschaffen werden. Doch die Stadt wird durch Terrorismus, Verschwörungen und machthungrige Politiker bedroht. Mittendrin Deunan und ihr Cyborg-Partner Briareus, die als Teil der Elite-Einheit E S.W.A.T. Olympus vor den unterschiedlichsten Angriffen zu schützen versuchen und dabei nach ihrem ganz eigenen Paradies suchen.
Mit Ghost in the Shell und Appleseed hat Masamune Shirow zwei Klassiker der Manga-Literatur geschaffen. Beide Werke wurden in unterschiedlicher Form, als deutliches Zitat oder in ihrer Thematik, immer wieder aufgegriffen. Insbesondere auch von der Anime-Industrie, die gerne auf das Basis-Material zurückgreift und neue Versionen von Shirows Science-Fiction-Universum produziert. Bereits 1988, noch während der Japaner an seiner Serie zeichnete, hat Bandai Visual Appleseed mit einer actionreichen OVA gewürdigt, die sich inhaltlich aber kaum auf die Vorlage bezog. Waren die 90er-Jahre dann von Mamoru Oshiis Ghost In the Shell-Umsetzung (1995) geprägt (vgl. auch Matrix, 1999), traute man den beiden Appleseed-Protagonisten erst 2004 ein Comeback zu. Jener Anime wurde aber nicht von Hand gezeichnet und in klassischem 2D umgesetzt, sondern entstand mit Motion Capture-Technologie und mittels Cel-Shading am Computer. Allerdings hat man versucht, den Anime-Look einigermassen beizubehalten. Erst in der Fortsetzung Appleseed: Ex Machina von 2007, wurde auf ein deutlich dreidimensionaler CGI-Look gesetzt, ganz im Stile aufwändig gerenderter Filme.
Appleseed XIII geht nun in vielen Bereichen einen ganz eigenen und auch eigenwilligen Weg. Statt sich auf 90 Minuten zu beschränken, will man das Appleseed-Universum mit einer 13-teiligen Anime-Serie würdigen. Die Besonderheit: Die Produktion wurde in unterschiedliche Animationsstudios ausgelagert, wodurch die einzelnen Folgen unter der Leitung unterschiedlicher Teams entstanden. Verschiedene Künstler verwirklichten ihre Ideen auf Basis des Grundmaterials und entschieden selbst, wie sie die Figuren zum Leben erwecken wollten. So wurde manchmal auf den Einsatz von Motion-Capture verzichtet, ein andermal wurden selbst kleinste Details noch nachgedreht. Auch wenn man unter diesen Voraussetzungen optisch eine gänzlich heterogene Serie erwarten würde, so wirkt sie (in den ersten vier Folgen) dennoch wie aus einem Guss. Individualität wird vor allem in der inhaltlichen Umsetzung, im Erzähltempo und Atmosphäre gefunden. Das gewöhnungsbedürftige Aussehen der Serie bleibt aber Stilmittel aller Folgen. Die Figuren und Animationen sind in einem minimalistischen Cel-Shading-Look gehalten, der auf den ersten Blick nicht überzeugt. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass der dreidimensionale Computerlook ein Stück weit herausgefiltert wurde und man sich an der Manga-Vorlage, mit deutlichen Zeichenlinien und aufwändigen Schattierungen, orientiert. Nicht alle Szenen (auch innerhalb einzelner Folgen) lassen diese Detailverliebtheit erkennen, manchmal wirken Bilder und Animationen auch ziemlich plump.
Inhaltlich ist das Appleseed-Universum packend wie eh und je und bewegt sich mit Appleseed XIII wieder deutlich näher an der ursprünglichen Vorlage. Man setzt nicht nur auf Action, sondern beleuchtet sowohl die spannende Beziehung zwischen Deunan und Briareus, die sich als Kombination von Liebespaar und Vater-Tochter-Beziehung entpuppt, wie auch die politischen und ethischen Probleme, die aus der Neuformierung der Gesellschaft entstehen. Die Geschichte wird auf dreierlei Ebenen vorangetrieben. Während es für die Protagonisten immer wieder kleinere Einsätze zu bestreiten gilt, die inhaltlich abgeschlossen werden, entwickelt sich die Beziehung zwischen ihnen und insbesondere auch das Schicksal der Erde über mehrere Folgen hinweg. Hinzu kommen spannende Fragen, die man aus der Science-Fiction-Literatur schon kennt. Der Wunsch nach Selbstbestimmung kollidiert mit einer vorherbestimmten Programmierung. Die Suche nach Perfektion ist die Suche nach einem Ding der Unmöglichkeit. Die Bioroiden, gentechnisch veränderte Menschen, quasi das biologische Gegenstück zu Cyborgs, sollen wortwörtlich funktionieren, zeigen aber Fehlfunktionen, da sich der menschliche Wunsch nach Freiheit nicht mit der angestrebten Perfektion vereinbaren lässt. Die Hardware ist noch menschlich, die Software hingegen nicht. Aus dieser Konstellation ergeben sich diskussionswürdige Fragen zum Eingriff in das Leben an sich, zur Gleichschaltung einzelner Individuen, zu Selbstmord und zur organisierten Sterbehilfe, als einziger Ausweg und Sprung in die Freiheit.
Appleseed XIII – Vol. 1: Optisch gewöhnungsbedürftig, inhaltlich packend wie eh und je.
(Kurzversion erschienen im Deadline-Magazin Nr. 33)