Mit seiner pessimistischen Weltsicht und der kompromisslosen Darstellung menschlicher Abgründe bleibt sich Sang-ho Yeon auch in seinem dritten, erneut beeindruckenden, Animationsfilm treu. Für das Subgenre Zombiefilm hält der Südkoreaner aber keine Überraschungen bereit, steht mit einer grossen Portion Sozialkritik aber ganz in der Tradition des Romero-Klassikers „Night of the Living Dead“. (aus)
Im Bahnhof Seoul Station bereiten Obdachlose ihr Nachtlager vor, unter den strengen Augen der Bahnpolizei. Einem der Aussätzigen scheint es nicht besonders gut zu gehen und die Hilfe, die sein einziger Kumpane zu organisieren versucht, ein halbes Päckchen Schmerzmittel, kommt zu spät. Der Obdachlose ist verschwunden. Kurz darauf findet man ihn über eine Leiche gebeugt. Schmatzend. Der Ausbruch hat begonnen. Zur gleichen Zeit versucht ein junger Mann, Ki-Woong, die Ausreisserin Hye-sun, die er seine Freundin nennt, dazu zu überreden, wieder auf den Strich zu gehen. Nach einem kurzen Streit gehen sie getrennte Wege. Wie es der Zufall will, sucht Hye-suns Vater nach seiner Tochter und stösst im Internet auf eine Anzeige, die ihn zu Ki-Woong führt. Währenddessen breitet sich die Zombie-Seuche weiter aus.
Vater sucht Tochter. Regisseur Sang-ho Yeon erfindet das Genre nicht neu, liefert aber einen grundsoliden Zombie-Film, der mit einem verstörenden Twist am Ende des Films aufwartet. Die eher holprigen Animationen sind für den Südkoreaner schon fast Stilmittel geworden, ebenso wie seine kompromisslose, pessimistische Erzählweise, die schonungslos menschliche Abgründe offenlegt. Bereits in King of Pigs (2011), der vom Trauma zweier Männer während ihrer Schulzeit erzählt, wie auch in The Fake (2013), in dem ein Alkoholiker, dem immer wieder die Hand ausrutscht, gegen eine korrupte Sekte und die Überflutung seines Dorfes antritt, erzählt Yeon von Aussenseitern, deren Absichten zwischen Gut und Böse oszillieren.
In Seoul Station verlegt Yeong seine Sozialkritik mitten in die Hauptstadt Südkoreas. Die Politik und die Bewohner scheinen die Augen vor den realen Problemen der Obdachlosigkeit und Zwangsprostitution zu verschliessen. Als Obdachlose und Hye-sun verzweifelt im nahegelegenen Polizeiposten Schutz vor den Zombies suchen, erkennen die Autoritäten die Problemlage nicht und können diese auch nicht benennen, obwohl sie doch so offensichtlich ist: Zombies. Ein Symbolbild und vernichtendes Urteil über den ineffizienten und bürokratischen Sozialstaat Südkoreas. Und Yeons Zombies schlurfen nicht, taumeln nicht, stolpern selten. Sie rennen. Bedrohlich schnell. Sie überwältigen jeden. Ein Biss und man wird selbst zum Untoten. Ähnlich schnell kann der soziale Abstieg erfolgen. In der Mitte des Films sind die wenigen Überlebenden eingekesselt. Vorne betreibt das Militär heitere Symptombekämpfung. Hinter ihnen fletschen hungrige Zombies ihre faulen Zähne. Eine ausweglose Situation.
Auch wenn Yeons Drehbuch bekannten Formeln folgt, so sorgt er für einen guten Erzählfluss, kann die Spannung hoch halten und zeigt zwischen den handgezeichneten Bildern und computeranimierten Cel-Shading-Zombiehaufen auch visuelle Genre-Elemente. Der südkoreanische Zombie-Animationsfilm Seoul Station, ist selbst in einer von Zombie-Filmen und -Serien übersättigten Filmlandschaft eine Sehenswürdigkeit. Insbesondere durch Yeons abstossend tiefen Blick in den menschlichen Egoismus, der getrieben von Angst und Schuld bedrohlich nihilistische Tendenzen ausmacht – was der Südkoreaner mit seinem Finale deutlich unterstreicht.
Anmerkung: Sang-ho Yeon hat dieses Jahr in Cannes seinen ersten Realfilm Busanhaeng (Train to Busan) vorgestellt, der während der gleichen Zombie-Apokalypse wie Seoul Station angesiedelt ist und gesellschaftskritisch mit den Klassenunterschieden spielt. (aus)
Seoul Station
Land: Südkorea
Studio: Finecut, Studio Dadashow
Regie: Sang-ho Yeon
Drehbuch: Sang-ho Yeon
Produzent: Dong-ha Lee, Youngjoo Suh, Sang-ho Yeon
Laufzeit: 82 Minuten
Festival: NIFFF 2016
Verleih: ©Finecut, N.E.W.
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