Furchtlos und tapfer
Der französische Trickfilmmacher Michel Ocelot verbrachte den Grossteil seiner Kindheit in Guinea und bekam in dieser Zeit so manches westafrikanische Märchen zu hören. Darunter auch zahlreiche senegalesische Fabeln, die ihn zu den Abenteuern von Kiriku inspirierten und die er im Jahr 1998 erstmals im Zeichentrickfilm “Kiriku und die Zauberin” einfliessen liess. Aufgrund des Erfolgs, am Annecy International Animated Film Festival erhielt er den Grand Prix, folgte 2005 mit “Kiriku und die wilden Tiere” der zweite Film. Es sollte bis ins Jahr 2012 dauern, bis Ocelot mit “Kiriku und die Männer und Frauen” seinen dritten Teil vorlegte.
Ocelot verabschiedet sich mit diesen fünf neuen Abenteuern von der klassischen Zeichentrick-Animation. Optisch hält sich die Produktion zwar an die einfachen, klaren Linien und an die bunten Farben seiner Vorgänger, bedient sich aber der Computertechnik, um die gezeichneten Figuren zum Laufen zu bringen. Dabei vermischt er nicht dreidimensionale Effekte mit klassischer Scherenschnitttechnik, wie er dies bei Azur und Asmar (2006) gewöhnungsbedürftig aber herausragend gemeistert hat. Hier versucht Ocelot die zwei Vorgängerfilme stilistisch zu imitieren, was ihm objektiv gelingt, auch wenn er die Wärme der handgezeichneten Bilder nicht ganz erreicht.
Ein alter Mann erzählt von den Abenteuern, die Kiriku in seinem Dorf erlebt und wie sie ausgehen. Kiriku ist ein äusserst ungewöhnlicher Junge. Bereits nach der Geburt sprach er seine ersten Worte, konnte gehen und noch viel schneller rennen. Er ist winzig, fast noch ein Baby und hat doch den Verstand und die Gewitztheit eines Erwachsenen. Seine kindliche Neugier bringt ihn immer wieder dazu, ein Problem von einer ganz anderen Seite anzugehen, als dies die Dorfbewohner machen würden. Es sind Konflikte, die innerhalb der Gemeinschaft entstehen und von der etwas weiter entfernt lebenden Zauberin Karaba beobachtet werden, die sich ebenfalls in die Geschichten einmischt. Für die kleinen Zuschauer ist Kiriku nicht bloss der Held der Geschichte, sondern auch Vorbild.
Eines Tages verschwindet der Stammesälteste plötzlich ohne jede Spur. Anfangs sind die Dorfbewohner noch freudig, weil sie dem Geschwätz des alten Mannes nicht mehr zuhören müssen. Bald plagt sie aber das schlechte Gewissen und sie beginnen mit der Suche. Als die Nacht hereinbricht legen sich die Dorfbewohner schlafen, während sich Kiriku heimlich davonschleicht und den Ältesten weit entfernt auch tatsächlich findet. Dieser sitzt auf einem Baum und wird von einem Panther belagert. Mit viel Geschick und einer gehörigen Portion Mut, befreit Kiriku den alten Mann aus seiner misslichen Lage und sie können den Heimweg antreten. Weil der Weg weit ist und die beiden durstig und hungrig sind, suchen sie nach Ess- und Trinkbarem. Bald stossen sie auf einen Strauch, der alkoholhaltige Früchte trägt. Der Alte ist schnell betrunken und beginnt sofort gegen die böse Zauberin zu wettern. Die bekommt das Gezeter natürlich mit und schickt ihre Fetische – beseelte Holzfiguren die wie Roboter auf Befehl handeln – los, um den alten Mann zur Bestrafung abzuholen. Kiriku gelingt mit einem Trick die Rettung.
In einer anderen Geschichte verirrt sich ein Junge, dessen ganzer Körper mit blauen Tüchern umhüllt ist, in das Dorf von Kiriku. Er spricht eine fremde Sprache und unter den Augen ist eine weisse Hautfarbe zu erkennen. Während die Dorfbewohner sofort auf Abstand gehen, die bleiche Haut und die Verhüllung als Zeichen einer schlimmen Krankheit deuten, geht der kleine Kiriku auf den Fremden zu. Kiriku schlägt Brücken, vermittelt zwischen Kulturen, löst mit listigen Einfällen die Probleme der Dorfbewohner und verhilft der Gemeinschaft, den Frauen und den Männern, mit seiner zuvorkommenden, neugierigen Art zu einem friedlichen Zusammenleben.
Die Geschichten folgen einer einfachen Struktur und sind dadurch ohne Probleme auch für jüngere Zuschauer verständlich. Auch die Charakterzeichnungen der einzelnen Figuren sind klar definiert und nur bestimmten Personen zugewiesen. Da gibt es die laute Nachbarin mit vielen Vorurteilen, der besserwisserische Alte, ängstliche Kinder, abergläubische Männer und Kirikus sensible Mutter. Und so kann höchstens die böse Zauberin mit ihren übernatürlichen Fetisch-Figuren bei kleinen Zuschauern für etwas Unbehagen sorgen.
Wo sonst kann man im heutigen Kinderprogramm afrikanischen Märchen lauschen? Wo sonst ist der Dreh- und Angelpunkt einer Geschichte ein afrikanisches Dorf und ermöglicht so die Begegnung mit einer fremden Kultur? Kiriku und die Männer und Frauen ist eine wahre Bereicherung in der heutigen Animationslandschaft, kann Kinder faszinieren und Erwachsene unterhalten. Michel Ocelot ist ein Geschichtenerzähler, der es versteht, mit einfachen stilistischen Mitteln eine faszinierende Welt auf den Bildschirm zu zaubern.
Kiriku und die Männer und Frauen
Land: 2012, Japan
Originaltitel: Kirikou et les hommes et les femmes
Studio: Les Armateurs, Mac Guff Ligne, France 3 Cinéma, Studio O
Regie: Michel Ocelot
Budget: ca. 7 Millionen Euro
Laufzeit: 85 Minuten
Freigabe: FSK 0
DVD: bei Amazon / bei CeDe
Verleih: Universum Film
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