Es war einmal… eine bewegte Vorgeschichte
Vor drei Monaten wurden wir von Douglas Welbat, dem Geschäftsführer der Zipfelmützenfilm GmbH und Produzent von “Der 7bte Zwerg“, persönlich zum ersten Screening des fertigen Films nach Berlin eingeladen, wo neben den Filmemachern auch einige der Schauspieler den Film zum ersten Mal sahen. Eine Einladung, der wir gerne nachkamen, aber die nicht zufällig oder aus reiner Nächstenliebe ausgesprochen wurde. Das Projekt stand bei uns von Anfang an unter keinem besonders guten Stern, um es diplomatisch auszudrücken. Die Ankündigung einer animierten Fortsetzung von Otto Waalkes höchst streitbaren Zwergenfilmreihe sorgte im Vorfeld nicht nur bei uns für wenig Begeisterung. Als Harald Siepermann Anfang 2013 plötzlich und für die Öffentlichkeit ohne Vorzeichen verstarb – Regisseur von “Der 7bte Zwerg” und deutsche Disneylegende beteiligt an Filmen wie “Mulan”, “Tarzan”, “Der Schatzplanet”, “Bärenbrüder” u.a., außerdem Mentor für hunderte, wenn nicht tausende von Animationsstudenten inklusive mir – sanken unsere Erwartungen ins Bodenlose. Monate vergingen, aber trotz mehrmaliger Nachfragen unsererseits erfolgte zunächst keine offizielle Antwort, die den Filmstatus oder die Regienachfolge klärte, was unsere Vorbehalte gegenüber dem Projekt nicht unbedingt abbaute. Ein schauriger Teaser, ein fast noch verstörenderer Trailer und einer massiven Kinostartverschiebung taten ihr Übriges. Unsere wachsende Skepsis entging auch den Produzenten des Films nicht, weswegen wir im Herbst 2013 zu einem ausführlichen Gespräch mit Douglas Welbat eingeladen wurden, dem es ein Anliegen war, einiges ins rechte Licht zu rücken, besonders Siepermanns Vermächtnis und die Produktionsbedingungen nach seinem Tod. Eine Zusammenfassung dieses Gesprächs inklusive einer Chronik des Projekts findet ihr hier. Dort gibt es auch Hintergründe zu der bewegten Produktionsgeschichte des Film, inklusive einem kurzen Interview mit Animation Director Jan Stoltz von TRIXTER, der nach dem Tod des Regisseurs die Aufgabe hatte, Siepermanns hohen Animationsansprüchen gerecht zu werden.
Es war einmal… ein deutscher Animationsfilm
Was man dem Film lassen muss und was ihn von den anderen 98% aller deutschen Animationsfilmen, die es ins Kino schaffen abhebt, ist seine inhaltliche Kohärenz. Der Film folgt der ältesten aller Geschichtsformeln, der sogenannten Heldenreise (Hero’s Journey). Seine sture Abfolge dieses dramaturgischen Grundkonzepts macht aus dem Film eine überaus vorhersehbare Angelegenheit, gleichzeitig jedoch auch eine funktionelle. Es lässt sich viel gegen die alte Hollywoodformel sagen, die seit ihrer Entdeckung in sämtlichen Formen und Farben verbaut wurde und insbesondere bei Blockbustern bis heute ihre Anwendung findet. Mal mehr offensichtlich wie in “Der König der Löwen” oder mal weniger unoffensichtlich wie in “Star Wars” 1-6. Man kann sich ihrer zurecht überdrüssig sein. Aber in Deutschland, wo Animationslangfilmdrehbücher selten öfters als einmal überarbeitet und noch seltener mit handwerklichen Mitteln geschrieben werden und meist durch Produzententyrannei zusätzlich verschlimmbessert werden, ist eine korrekt angewandte Drehbuchstruktur pures Gold. Und die Heldenreise in “Der 7bte Zwerg” ist sicherlich kein Zufall, schließlich lehrte Harald Siepermann an Film- und Animationshochschulen unter anderem eben diese berühmt-berüchtigte Drehbuchformel. Siepermann mag viel zu früh verschieden sein, aber wenn in “Der 7bte Zwerg” nur etwas von ihm überlebt hat (nebst seiner unverkennbaren Designs), dann sein Glaube an eine funktionierende, dramaturgisch erfüllende Filmstruktur. Und das rettet dem Film am Ende seinen Zwergenhals.
Es war einmal… ein 7bter Zwerg
Erinnern wir uns an den bereits genannten schaurigen Trailer, der uns die Fremdschamröte ins Gesicht trieb. Peinliche Sprüche (“Ein winziger Stich”), peinliche Märchenparodie (“Wo sind denn hier die Miezen” vom gestiefelten Kater), Girlie-Darstellungen direkt aus der Feministenhölle, peinliche Meerjungmänner, eine lustlos wirkende Nina Hagen. Kurzum, das altbekannte deutsche Grauen in Trailerform. Ein ebenbürtiger Nachfolger des rostigen Ritters und der Drölf-Ohrenbande Aber was der Trailer nicht verrät: Er besteht zu 2/3 aus Szenen des ersten Aktes. Dem Akt, in dem sich eine Peinlichkeit neben die andere reiht. Ein Dauerfeuer schlechter Filmzitate (Matrix, Jurassic Park, Der weiße Hai), mieser Gags und nerviger Dialoge. Es ist ein Film im Film mit ernüchterndem Anfang, langweiliger Mitte und nervigem Showdown. Man stirbt tausend Tode bevor der Film überhaupt richtig anfängt.
Aber! Der und die Zuschauer_In, die die ersten 15 Minuten tapfer durchstehen, werden mit Staunen feststellen, dass ab der Verzauberung des Schlosses der Film eine völlig andere Tonart findet. Weg von einer hyperaktiven, schamvollen, Popkulturverballhornungsrevue, die selbst Machwerke wie “Es war k’einmal im Märchenland” (“Happily N’Ever After”) in den Schatten stellt, hin zu einem einfachen, unaufgeregten Fantasyfilm für die ganze Familie mit Herz. Zugegeben, mit 2-3 Ausrutschern wie den Meerjungmännern oder einem völlig unpassenden YouTube-Verweis muss man sich weiterhin arrangieren, aber eigentlich wird der Film zusehends niedlicher. Vor allem die Nebenhandlung um Bubi (Otto Waalkes Zipfelego) und Burner (gesprochen von Christian “Robert De Niro” Brückner) lässt das vorurteilsvolle Zuschauerherz ein kleines Stück auftauen dank kleinen emotionalen Momenten, die positiv in Erinnerung bleiben. Hier kommt die Drehbuchstruktur zum Tragen, denn eine gut umgesetzte Heldenreise, selbst wenn es sieben Zipfelmützenhelden sind, funktioniert selbst in der millionsten Ausgabe.
Was den Auftauprozess zusätzlich unterstützt, sind die wunderbar elastischen Animationen von TRIXTER ganz im Sinne der alten Animationsmeister aus dem Hause Disney. Ein wohltuender Kontrast zu den stoischen Animationen gewisser anderer, rostiger und ohriger Filme der jüngeren Vergangenheit. Ich bilde mir ein, auch hier die schützende Hand von Siepermann zu erkennen, dem die Animationen als alter Disneyhase sicherlich ein ganz besonderes Anliegen waren. Anliegen, die Animation Director Jan Stoltz souverän bis in den finalen Film retten konnte, trotz einiger Widerstände, wie er in einem kurzen Interview zugab. Ähnliches trifft auf den Look und das Rendering zu. Man hörte letztes Jahr einiges aus der Gerüchteküche. Selten Gutes. Das schwierige Zusammenspiel der sieben (!) involvierten Studios soll mit ein Grund gewesen sein, das zur Kinostartverschiebung führte. Was Stoltz auch bestätigte. Scheint, als hätte der Plan, so viele Bundesfilmfördertöpfe wie möglich anzuzapfen, sich am Ende als Boomerang herausgestellt. Mal wieder. Nichtsdestotrotz wurden die Schwierigkeiten gemeistert, denn das Shading, das Lighting und das Rendering müssen sich nicht hinter den Animationen verstecken. Es wurden keine Experimente gemacht, sondern ein softer, runder Look entwickelt, ganz im Sinne klassischer Märchen- und Fantasiewelten.
Trotz der versöhnlichen Worte bleibt das neueste Zwergenabenteuer ein Film, der im Jahr 2014 noch Matrix parodiert und mit “Handy aus!”-Teasern beworben wird. Das erscheint so zeitgemäß wie Disneys Frauenbild und Prinzessinenfimmel. Der ganze Film ist altmodisch bis in die Spitzen. In einer filmischen Denkweise verhaftet, die seit über 20 Jahren aus der Mode ist. Was jedoch nicht zwangsläufig dem Film zur Last gelegt werden muss. Stellt man sich darauf ein, ignoriert den kompletten Anfang und sieht über 2-3 Längen hinweg, entpuppt sich “Der 7bte Zwerg” als solide Familienunterhaltung. Hauptsächlich für die ganz Kleinen und am besten nicht direkt nach einer Pixar- oder Ghibli Sichtung. Die Kluft zur internaionalen Konkurrenz ist und bleibt enorm, aber in Anbetracht seiner Produktionsgeschichte und seiner (man verzeihe mir den neuerlichen Finger in der Wunde) deutschen Herkunft, ist die animierte Zwergensippe ein milde stimmender Animationsfilm, der sein Herz am rechten Fleck hat. Ein Film, für den sich niemand zu schämen braucht, zu aller letzt Harald Siepermann. Und das ist mehr als ich noch vor 12 Monaten zu träumen wagte.