Inhalt: Yokohama, 1963. Umi ist von ihrem Mitschüler Shun fasziniert, der die Schülerzeitung herausgibt. Ihre Freundschaft beginnt zu wachsen, währenddem sie sich für ein baufälliges Studentenclubhaus einsetzen. Die zarte Liebesgeschichte aus dem Studio Ghibli erzählt von einer Generation, die vorwärts kommen will, ohne ihre Wurzeln aufzugeben. Kinostart: 21.11.2013
Als Goro Miyazaki, Sohn von Meister Hayao, 2006 seine erste Regiearbeit Die Chroniken von Erdsee in die Kinos brachte, ruhten die Augen der Welt auf ihm. Nicht nur, weil es der erste Film von Hayao Miyazakis Sprössling war, sondern weil das Filmprojekt von einem Vater-Sohn Zwist überschattet wurde, der dazu führte, dass sich der Vater komplett von der Produktion zurückzog und in der Zeit kein einziges Wort mehr zwischen Vater und Sohn gewechselt wurde. Miyazaki sen. war der Meinung, dass sein Sohn zu unerfahren sei, um einen ganzen Film zu leiten, wurde aber vom damaligen Studio Ghibli-Chef Toshio Suzuki überstimmt. Doch der Meister sollte recht behalten. Trotz der Ghibli typischen Farbenpracht und Perfektion mangelte es dem Erdseefilm an einem grundsätzlichen narrativen Verständnis. Zu wirr und zäh war die Inszenierung. Zu unausgereift die Dramaturgie. Das führte dazu, dass der Film bis heute zu den schwächsten Filmen aus dem Hause Ghibli gezählt wird. Und die Kritik sollte nicht spurlos am Regisseur abprallen wie Der Mohnblumenberg (From Up On Poppy Hill /Kokuriko-zaka kara) nun beweist.
Der Mohnblumenberg ist in allen Bereichen reduzierter, gerade zu winzig im Vergleich zur Erdseeverfilmung – und doch überragt der Mohnblumenberg seinen Vorgänger wie der Fuji einen kümmerlichen Erdhügel. Von der Unsicherheit von einst ist bei Goros zweiter Regiearbeit nichts mehr zu spüren. Mit fester Hand führt er seine beiden Protagonisten mit ausserordentlicher Ruhe und feinfühligen Schritten zueinander. Es erwarten einem keine epischen Schlachten, kein ewiger Kampf zwischen Gut gegen Böse, sondern die Alltagsgeschichten und Sehnsüchteleien zweier Jugendlicher, die mehr verbindet als sie zu wissen glauben. Es vergeht mehr als die Hälfte des Films bevor der Kern der Geschichte vor dem Zuschauer ausgebreitet wird und alle Verstrickungen offenbart werden. Vorher ist man bloß ein stiller, faszinierter Voyeur, der durch das Schlüsselloch der damaligen Epoche auf eine tragische erste Liebe blickt.
Die Figuren und ihr Gefühlsleben stehen im Mittelpunkt, vermittelt über sich wiederholende Tagesabläufe und stille Gesten. Der Zuschauer muss Geduld für den Regisseur und die Figuren mitbringen. Die Nebenhandlung rund um die Rettung des Clubhauses ist zwar der Antriebsmotor, der die Erzählung des Films vor dem vollkommenen Stillstand bewahrt – doch wird schnell offensichtlich, dass das studentische Gezanke und aufkeimende Protestgeist nur eine vergnügliche Ablenkung darstellt. Ein Gegengewicht für die emotional aufgeladenen Schlüsselszenen, die folgen. Spätestens, wenn sich Umi mit ihrer Mutter ausspricht oder das Familiengeheimnis auf See aufgedeckt wird, macht sich Miyazakis umsichtige Erzählweise bezahlt.
Als hätte es der Vater dem Sohne aufgetragen, entstand mit Der Mohnblumenberg der direkte Gegenentwurf zum Erdseefilm. Kein maßlos übersteigertes, hohles Fantasyepos, sondern eine intime, auf wenige Figuren fokussierte Coming Of Age-Geschichte, geprägt von einem Land, das sich in einer Identitätskrise befand zwischen Weltkriegstrauma, Tradition und Wirtschaftswandel. Eine zutiefst persönliche Erzählung, die jegliche lauten, akzentuierten Töne oder äußere Beeinflussung meidet und sich ganz auf das Innenleben der beiden jugendlichen Protagonisten konzentriert. Wenn Erdsee ein plumpes Spektakel war; ein Fels, der unkontrolliert und tosend ins Wasser stürzt, so gleicht Der Mohnblumenberg einem rund geschliffenen, kleinen Kieselstein, der geschickt über die Wasseroberfläche springt und tanzt. Ein Werk für ein Publikum, das auch die bodenständige, nachdenkliche Seite des Studio Ghibli wertschätzt.
Eigentlich wollte Goro Miyazaki nie in die Fußstapfen seines Vaters treten, sondern sich im Landschaftsbau versuchen. Über Umwege landete er schließlich doch beim Studio seines Vaters. Zwar musste er – und nicht zuletzt wir Animefans – mit Die Chroniken von Erdsee ein teures Lehrgeld bezahlen, doch spätestens nach Sichtung von Der Mohnblumenberg wissen wir, dass der Sohnemann in der Animationsbranche gut aufgehoben ist und nun auch innerhalb der Miyazaki Dynastie die Zukunft des Studio Ghibli gesichert sein dürfte. Der Mohnblumenberg ist die demutsvolle Rückbesinnung auf die klassische Erzählkunst. Die Läuterung eines gebrannten Kindes. Die Reifeprüfung eines Schülers. Der Befreiungsschlag eines im Schatten stehenden Sohnes. Nun ist Goro Miyazaki endlich bereit für die großen Abenteuer.
8/10
(Wenn ihr wissen wollt, in welchen deutschen Kinos der Film voraussichtlich starten wird, dann solltet ihr einen Blick in diese News werfen)
Der Mohnblumenberg Land: Japan Studio: Studio Ghibli Regie: Goro Miyazaki Drehbuch: Hayao Miyazaki, Keiko Niwa Comic: Chizuru Takahashi, Tetsurô Sayama Synchronsprecher: (J) Masami Nagasawa, Jun’ichi Okada, Keiko Takeshita, Yuriko Ishida, Rumi Hiiragi, u.a. Produzent: Nobuo Kawakami, Tetsurô Sayama, Toshio Suzuki, Chizuru Takahashi Schnitt: Takeshi Seyama Musik: Satoshi Takebe Laufzeit: 91 Minuten DE-Kinostart: 21.11.2013 J-Kinostart: 16.07.2011 Verleih: Universum Film Weitere Infos bei IMDB |