Wenn die Rollenspielexperten von Level-5 (White Knight Chronicles) mit dem bekannten Studio Ghibli (Chihiros Reise ins Zauberland) zusammenspannen, dann muss etwas Besonderes entstehen. So geschehen mit Ni No Kuni: Wrath of the White Witch für die PlayStation 3, das den Spieler in eine (wortwörtlich) “andere Welt” entführt. Märchenhaft, abenteuerlich und herzerwärmend.
Ein alter Hut?
Man könnte hier im Westen ja fast meinen, Ni No Kuni sei ganz neu für die PlayStation 3 produziert worden – und irgendwie hat man damit ja sogar recht. Aber: 2010 wurde das Spiel in Japan bereits für das Nintendo DS veröffentlicht, wegen Lokalisierungsproblemen, allem voran aufgrund des ausführlichen Handbuchs, hat man sich aber dagegen entschieden, das Spiel auch in die USA oder nach Europa zu bringen. Erfreulicherweise hat man es nun aber von Grund auf für die PlayStation 3 überarbeitet und so findet es etwas verspätet doch noch den Weg zu uns – mit japanischer und englischer Synchronisation und deutschen Texten. Bei der vorliegenden PS3-Version handelt es sich aber nicht einfach um ein aufgepepptes Remake, denn man hat für Wrath of the White Witch einige Änderungen vorgenommen, einerseits im Gameplay, andererseits hat man auch einige Spielgebiete gestrichen und durch neue ersetzt. In seinem inhaltlichen Kern ist das Spiel aber noch dasselbe geblieben.
Ein Schicksalsschlag.
Oliver lebt mit seiner Mutter in einem kleinen, gemütlichen Städtchen, das ganz unaufgeregt seinem beschaulichen Alltag nachgeht. Doch als sich der Junge nachts rausschleicht, um mit einem Freund einen selbstgebauten fahrbahren Untersatz zu testen, nimmt das Unglück seinen Lauf. Oliver landet im Meer und droht zu ertrinken. Seine Mutter rettet ihn, stirbt aber bald darauf aufgrund von Herzproblemen. Ein harter Schicksalsschlag für den Jungen, der seinen Tränen freien Lauf lässt. Als diese auf eine von seiner Mutter gemachten Plüschpuppe kullern, erwacht diese wie durch Zauberhand zum Leben. Tröpfchen nennt sich die kleine, quirlige Kreatur, die sich als Fee einer “ganz anderen Welt” vorstellt und von einer Möglichkeit erzählt, wie Oliver seine Mutter wieder unter die Lebenden bringen könnte. Denn in Ni No Kuni gibt es Kreaturen und Figuren, die mit den Menschen aus der realen Welt als Seelenverwandte verknüpft sind und so macht sich Oliver auf in ein Abenteuer, in dem er erst einmal zu einem mächtigen Zauberer werden muss.
Eine Kooperation.
Wenn es um japanische Rollenspiele geht, führt kein Weg an den Entwicklern von Level-5 vorbei. Doch anstatt ihr Können in der Spieleprogrammierung auf die Spitze zu treiben und sich auf die grosse, aber spezifische Fanbasis einzuschwören, hat man den Schritt zu einer Verbreiterung des Zielpublikums gemacht. Ein Prozess, der bereits vor einigen Jahren mit der Professor Layton-Serie (Nintendo DS) in Angriff genommen wurde. Bei jener Franchise ist auch die erfolgreiche Produktion von Anime-Filmen zu finden, die den Rätselspass auch neben der Spielkonsole weiterführen. Die Ambition, mit dem Zeichentrickstudio Ghibli zusammenarbeiten zu wollen, ist also nicht ganz überraschend, schon viel eher, dass jene auch die Zeit gefunden haben, sich auf das Projekt einzulassen. Zum 10-jährigen Bestehen von Level-5 wollte man bei den Videospielproduzenten etwas ganz Besonderes machen und so wurde zwischen den beiden Firmen bald darüber diskutiert, ob das Studio Ghibli Animationen für ein neues Spiel liefern könnte. Wie es der Zufall so wollte, waren die Trickfilmer gerade fertig mit den Arbeiten an Ponyo und die Belegschaft hatte tatsächlich Zeit, sich diesem neuen Projekt zu widmen. Ursprünglich hatte man drei Monate eingeplant, doch schlussendlich hat sich Ghibli etwas ausführlicher Ni No Kuni gewidmet. Yoshiyuki Momose, der an zahlreichen Ghibli-Filmen als Zeichner mitgearbeitet hat (von Grave of the Fireflies über Princess Mononoke bis zu Tales from Earthsea), führte bei den Animationen Regie, was auch Aufnahmen mit echten Schauspielern durch Motion Capture beinhaltete. Ausserdem hat er auch am Storyboard gezeichnet, das basierend auf Beschreibungen von Level 5 entstand. Als stilistische Vorgabe hat man Momose lediglich mitgegeben, dass die Designs und Animationen auch deutlich als Ghibli-Produktion zu erkennen sein müssen. Etwas, das bei den gezeichneten Zwischensequenzen ohnehin kein Problem darstellte, bei der Programierung der digitalen Charaktere aber zusätzliche Arbeit verlangte, um sowohl die Bewegungen, wie auch das Aussehen der Figuren im Computerspiel der handgezeichneten Vorlage entsprechen zu lassen. Die Symbiose zwischen Level-5 und Studio Ghibli ist geglückt. Der Spieler fühlt sich in eine digitale Ghibli-Welt im Stile einer Mischung von Die Chroniken von Erdsee, Das Königreich der Katzen und Chihiros Reise ins Zauberland versetzt und doch wirken Setting und Inhalt ganz eigenständig, wie ein nie produzierter Anime. Einen bereits bekannten Ghibli-Film zu einem Videospiel zu “versoften” war gar nie ein ernstes Thema. Der Erfolg von Ni No Kuni spricht aber bereits jetzt dafür, dass man irgendwann eine Fortsetzung ins Auge fassen könnte – und beide Seiten sind dieser Idee nicht abgeneigt.
Ein richtiges Rollenspiel.
Ni No Kuni richtet sich eher an Einsteiger in die Welt der Rollenspiele und offiziell auch an ein jüngeres Publikum. Doch ein Selbstläufer wird das Spiel damit auf keinen Fall, aber alle Spielelemente werden ganz ausführlich und detailliert erklärt, so dass erfahrene Spieler vielleicht etwas Geduld brauchen, während alle anderen dankbar den Ausführungen lauschen. Level-5 erfindet das Spielprinzip auch nicht neu, liefert aber genau das, was man von einem Rollenspiel erwarten darf. Mit Oliver und Tröpfchen erkundet man eine grosse Weltkarte, deren Gebiete zu Beginn noch nicht alle zugänglich sind und durch viele starke Monster versperrt sind, die durch die Wiesenlandschaften und Wälder streunen. Mit jedem Kampf wird Oliver etwas stärker, lernt neue Zaubersprüche und kann so bald Brücken herbeizaubern oder fliegen. Dazwischen gibt es interessante Rätsel und Kombinationsaufgaben, während das Abenteuer inhaltlich immer grössere Dimensionen annimmt. Die Kämpfe mit den variantenreichen Monstern finden in einer Kombination von rundenbasierenden Kämpfen und Echtzeit statt. So bewegt man Oliver und die Kamera frei auf den Schauplätzen, während man die einzelnen Befehle wie Angriff, Verteidigung, Zaubersprüche oder den Einsatz von Gegenständen zwischendurch den Figuren mit auf den Weg gibt. Oliver ist mit der Zeit auch nicht mehr alleine unterwegs. Er erhält Unterstützung von Vertrauten, Kreaturen die man während der Reise einfangen, trainieren und mit speziellen Fähigkeiten ausrüsten kann. Nicht nur unser Protagonist gewinnt an Erfahrung in den Kämpfen, sondern auch die Vertrauten, von denen man bis zu drei Stück mit ins Gefecht nehmen kann. Schon bald stossen auch Kameraden zu Oliver, die wiederum mit ihren Vertrauten am Geschehen teilnehmen. Zwar kann man ein Grundverhalten der Mitstreiter festlegen, zum Beispiel welche Kreatur sie angreifen sollen oder ob sie eher ein aggressives oder verteidigendes Verhalten an den Tag legen, jedoch ist es schwer, stets den Überblick zu behalten, weil man diese Befehle während dem Kampf durchgeben muss. Die künstliche Intelligenz der Kameraden ist stellenweise etwas fragwürdig ausgefallen, so kämpfen sie auch gerne mal selbst, obwohl einer ihrer Vertrauten eine deutlich bessere Figur machen würde. Auch exponieren sie sich etwas zu stark den gegnerischen Angriffen. Die Kontrolle über diese Figuren zu übernehmen ist zwar möglich, nur gibt man so gleichzeitig alle anderen der computergesteuerten Willkür preis. Glücklicherweise steht man aber nicht unter Zeitdruck und kann so seine Figuren in aller Ruhe stärken, bevor man die grösseren Aufgaben ins Visier nimmt.
Eine Kritik.
Neben diesen klassischen Rollenspielelementen bietet Ni No Kuni eine herzerwärmende Geschichte in einer detailliert ausgearbeiteten Welt voller wunderbarer Kreaturen, die zur dichten Atmosphäre des Spiels beitragen und man sich somit gerne darin verliert. Trotz der gekonnten Inszenierung als Lehrstück über Freundschaft, Hoffnung und Liebe, das vor allem jüngere Spieler adressiert, kann die Märchenwelt auch alle Erwachsenen emotional beglücken. Wenn man die Eigenschaften bestimmter Charaktere mit einem Zauber einfängt und die gebrochenen Herzen der niedergeschlagenen Bewohner mit Selbstvertrauen und Enthusiasmus heilt, so ist das ein schöner Akt, den man gerne auch ins reale Leben mitnehmen würde. Ni No Kuni ist ein herziges, gehaltvolles und warmes Videospiel geworden, das sich als Rollenspiel in klassischem Gewand bewegt und doch neue Überraschungen bereithält und sich als Kritik höchstens gefallen lassen muss, dass die gezeichneten Zwischensequenzen aus dem Studio Ghibli insgesamt zu kurz ausgefallen sind.