“Midori-ko” ist ein surrealer Animationsfilm über Industrialisierung, Nahrungsknappheit und Fleischkonsum. Keita Kurosaka hat das ausdrucksstarke Werk während 10 Jahren von Hand gezeichnet. Die grotesken Figuren sind faszinierend und abstossend zugleich, die von Licht und Schatten dominierten Bilder herausragend fein ausgearbeitet.
Midori mag kein Fleisch. Die armen Tiere! Viel lieber hat das kleine Mädchen Gemüse und wünscht sich, dass sich die ganze Welt nur noch von Gemüse ernährt. Einige Jahre später studiert die überzeugte Vegetarierin Agrarwissenschaften und versucht zusammen mit Wissenschaftlern der vorherrschenden Nahrungsmittelknappheit beizukommen. Auf der Suche nach einem neuen Lebensmittel verhilft ein mysteriöser Zwischenfall zum Durchbruch. Ein Forschungsobjekt wird lebendig. Das Mischwesen aus Fleisch und Gemüse hat ein menschliches Gesicht und einen Kürbis-Körper. Midori nennt es Midori-ko und umsorgt es wie ein Kleinkind. Als die Wissenschaftler und die gierigen Nachbarn von dem neuen Gast erfahren, hat Midori alle Hände voll zu tun, um das leckere Gemüse vor den hungrigen Mäulern zu beschützen.
Was sich in der inhaltlichen Zusammenfassung einigermassen plausibel anhört, wird vom Japaner Keita Kuosaka in ausducksstarken, handgezeichneten Bildern in Brauntönen als schräge Fabel umgesetzt. In seiner dystopischen Zukunftswelt sind die fleischfressenden Menschen mutiert zu lüsternen, esssüchtigen Mischwesen mit riesigen Sinnesorganen oder Köpfen aus Früchten und Tieren. Selbst die Maschinen, wie zum Beispiel Midoris Computer, haben ein Eigenleben entwickelt. Sie erfüllen zwar ihre Funktion, können aber auch kräftig zubeissen. Diese surreale Welt voller grotesker Kreaturen ist nicht leicht verständlich und muss nach den 55 Minuten erst einmal verdaut werden. Von den kindlichen, farbigen Zeichnungen im Epilog nimmt der Film schnell Abstand und stürzt die Zuschauer in eine metaphorisch überspitzte Welt, in der die Menschen roh und unzivilisiert nach Nahrung gieren, sich mit Fischen paaren und vor einem abstrakten Kanibalismus nicht zurückschrecken. Midori-ko ist ein Stück weit auch Schöpfungsgeschichte. Das durch ein mysteriöses Licht zum Leben erweckte Kürbisgemüse ist gleichsam Opfer wie Erlöser für die Menschheit in ihrer Nahrungsnot.
Durch die aufwändige Handarbeit ist die Animation etwas limitierter als gewohnt ausgefallen. Als Animator sieht sich der Künstler Kurosaka ohnehin nicht. Er sei Maler und die Animation diene nur zur Erweiterung seiner Bilder. Sie öffne Raum und Zeit für den Betrachter, die dadurch in das Bild eintauchen können. Und tatsächlich: Auf den zweiten Blick eröffnen sich dem Betrachter Kurosakas herausragende malerische Fähigkeiten. Die Kohlebilder sind unglaublich fein ausgearbeitet in Licht und Schatten und sind eine beeindruckende Mischung aus Rembrandt und Impressionisten wie Berthe Morisot. Erst bei Standbildern kommt die wahre Schönheit seiner Werke zum Ausdruck. Inhaltlich sind diese jedoch nicht selten abstossend und stehen damit im Widerspruch zu Kurosakas Technik, die Schönheit in jedem Objekt zu finden.
Midori-ko ist mal laut, mal leise, mal erschreckend, mal komisch, oftmals absurd und richtig schräg. In der Gesamtbetrachtung ein nicht ganz einfaches, aber äusserst liebevoll gestaltetes Gesamkunstwerk, mit tiefgründiger Botschaft, die zum Nachdenken anregt.
Midori-ko (2010) Land: Japan Regie: Keita Kurosaka Drehbuch: Keita Kurosaka Stimmen: Sayaka Suzuki, Rina Yuki, Chicapan, Miwako Mishima, Asuka Amane, Fumihide Kimura, u.a. Kamera: Keita Kurosaka Schnitt: Keita Kurosaka Animation: Keita Kurosaka Musik: Hiromichi Sakamoto Laufzeit: 55 Minuten Kinostart: – Verleih: – Weitere Infos bei IMDB |