Ich denke, also bin ich
Mensch oder Maschine? Realität oder Virtualität? Was bedeutet Existenz? Oshii bleibt seinem Lieblingsthema treu und bewegt sich gekonnt zwischen Philosophie, Theologie und Science-Fiction. Ein ruhiger und atmosphärischer Anime, der die ungewisse und bedrückende Stimmung auf den Zuschauer überträgt.
Als sich Yuichi Kannami im Büro seiner Vorgesetzten zum Dienst meldet, kommt ihm alles irgendwie vertraut vor. Die abgelegene Militärbasis, die Mechanikerin mit dem langen Zopf und eben auch das junge Mädchen auf dem Chefsessel. Suito Kusanagi, ein „Kildren“ wie er selbst. Teil einer genmanipulierten Menschenkaste im Körper eines Teenagers, die nicht erwachsen wird. Die Zeit kann ihnen nichts anhaben, sie sterben nur auf dem Schlachtfeld. Kannami ersetzt den gefallenen Piloten Jin-Roh und ist Teil eines inszenierten Kriegsspiels hoch über den Wolken. Auserdacht von mysteriösen Konzernen, um den Frieden auf der Erde zu wahren. Die mediale Berichterstattung dient den Menschen zur Unterhaltung und Ablenkung zugleich. Kannami versucht während dem immergleichen Stationsalltag zwischen Einsatzbefehl und Langeweile etwas über seinen Vorgänger herauszufinden und wird den Gedanken nicht los, dass seine Mitstreiter mehr darüber wissen, als sie zugeben. Doch er kämpft auch mit seinen eigenen Erinnerungen. Wo er früher stationiert war und wie lange er schon als Pilot unterwegs ist, hat er längst vergessen. Bald nimmt er zur Kenntnis, dass sein Leben weniger ein Puzzle ist, das sich irgendwann zusammensetzen liesse, als vielmehr ein permanenter Zustand des Seins. Seine Erinnerungen eine ständige Wiederholung von Vergangenheit und Gegenwart.
The Sky Crawlers ist ein beeindruckendes, stilles Werk geworden. Mamoru Oshii (Ghost in the Shell) baut das emotionale Gerüst des Protagonisten im Zuschauer sorgfältig auf und hält sich mit erlösenden Antworten selbstbeherrscht zurück. Die Unwissenheit über die Herkunft ziert die Momentaufnahme aus einem grösseren Zusammenhang, den er nicht zu erklären sucht. Es ist eine Geschichte kurz vor dem permanenten Stillstand, zwischen dem Akzeptieren des Hier und Jetzt und dem Versuch, unbekannte Wege zu beschreiten. Oshii adaptiert die gleichnamige Romanserie von Hiroshi Mori, und legt den Schwerpunkt auf den emotionalen Zustand der Hauptfigur. So plagen Kannami besonders Fragen existentieller Natur. Oshii befindet sich damit ganz in seinem Element und verknüpft Philosophie und Theologie mit klassischen Science-Fiction-Themen. Wer ist Kannamis Schöpfer? Hat sein Dasein einen höheren Zweck? Für oder gegen wen kämpft er überhaupt? Ist er nur ein Replikant oder eine Wiedergeburt? „Ich denke also bin ich?“ Ist seine Welt echt? Ist er nur eine Schachfigur in einem grossen Spiel? Dabei bleibt der Regisseur überraschend bodenständig und gewährt seiner Hauptfigur auch nicht die Möglichkeit, einer Erleuchtung aktiv nachzujagen, eine Verschwörung aufzudecken oder gar die Welt zu verändern. Mit einem interpretatorisch gewagten Schritt ist es in diesem Anime nicht der verklärte Blick eines Menschen auf ein Computerspiel und der Kampf zurück in die Realität, wie es Ash in Avalon durchlebt, sondern der emotionale Blick auf künstliche Intelligenzen. Bots die nicht wie Roboter einem Programm folgen, sondern sich selbstreflexiv als Existenzen wahrnehmen können. Wem diese Darlegung zu undurchsichtig ist, kann die Geschichte auch als Weiterführung zu Jin-Roh lesen. Es ist das Missbrauchen menschlicher Wesen als Werkzeug und damit eine Kritik an Krieg und Zerstörung.
Oshii entführt in gezeichneten und computeranimierten Animationen in eine alternative Realität. Die Farbgebung matt und nur punktuell mit leuchtenden Rot- und Grünstichen durchsetzt. Der graue, weisse und blaue Himmel wird in den kurzen Wolkenflügen grossartig in Szene gesetzt, während man sich bei der Darstellung der technischen Flugobjekte ganz dem Realismus verschrieben hat. The Sky Crawlers ist aus positiver Sicht eine Herausforderung und gibt auf einen zweiten oder dritten Blick mehr her, als sich bei der ersten Sichtung offenbart. Die Leere auf unterschiedlichen Ebenen ist Stil- und Erzählmittel, das wunderbar mit der monotonen Gefühlswelt Kannamis korreliert und dennoch ein geringes Mass von Hoffnung bereit hält, auszubrechen und nach den Sternen zu greifen.