The Blue Umbrella Weltpremiere: Zum ersten Mal feierte ein Pixarfilm seine Weltpremiere auf deutschem Grund und Boden. Als Schauplatz wurden die 63. Berliner Filmfestspiele (kurz: Berlinale) auserkoren, an denen der Kurzfilm The Blue Umbrella der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Ein freudiges Ereignis, das wir uns nicht entgehen lassen wollten. Wir waren für euch vor Ort, sprachen mit dem deutschstämmigen Regisseur Saschka Unseld, haben einige (verwackelte Handy-) Bilder aufgenommen und haben uns natürlich den Film angesehen. Dreimal…
Offiziell hatte der Film seine erste Aufführung Dienstag früh gegen 10.30 Uhr im Programm der Kurzfilmreihe “Generation KPLUS”. The Blue Umbrella war der letzte Beitrag von sieben animierten Kurzfilmen und zumindest in technischer Hinsicht der Höhepunkt. Dieses Screening war größtenteils von Schulklassen und einigen wenigen Journalisten besucht. Ganz nach der schönen Tradition der Berlinale, waren auch an diesem Screenings die meisten Filmemacher anwesend und stellten sich am Ende während einer Q&A den neugierigen Fragen des Publikums. Regisseur Saschka Unseld brachte gleich mehrere Mitglieder seines Teams mit. Auf seine Bitte, alle Pixar Kollegen sollen sich im Saal kurz zeigen, erhob sich ein Dutzend, das sich über 2-3 Kinoreihen verteilte. War auf jeden Fall ein amüsanter Anblick. Lasst uns hoffen, dass Monsters University trotzdem rechtzeitig fertig wird. 😉
Woher Unseld die Idee hatte, war eine der Kinderfragen. Der Regisseur antwortete darauf, dass der Anblick eines alten kaputten Regenschirms in den Straßen von San Francisco ihn dazu inspirierte, etwas mit Regenschirmen machen zu wollen. Als ersten Test erstellte er daraufhin diese kleine Animation, die auf der Idee basiert, wie sich Schirme bewegen würden, wenn sie am Leben wären. Auch wünschte sich der Regisseur für den armen Regenschirm, den er “tot” auf der Straße fand, ein Happy End. Das war die geistige Initialzündung für den Kurzfilm. Während einer Präsentation am Nachmittag vor einem Fachpublikum aus Animatoren und Artist zeigte der Regisseur auch ein Foto von seiner Inspiration, welches ihr links findet. Eine andere Kinderfrage war, warum alle anderen Regenschirme so grau und traurig aussehen würden. Die simple Antwort: Viele Menschen mögen kein Regen und fühlten sich an kalten, nassen Tagen eher traurig. Aber man dürfe die graue, triste Umsetzung der “anonymen” Schirme auch als Metapher an den grauen Großstadtalltag verstehen, was Unseld aber natürlich nicht in dieser Form vor dem Kinderpublikum ausdrückte.
Fotorealismus, der den Disneyfan irritiert
Wie bereits erwähnt, war Pixars Kurzfilm der technisch mit großem Abstand aufwändigste Beitrag der Kurzfilmsammlung. Der erste Film des Studios, der ein solch hohes, fotorealistisches Level erreicht. Zweifelsfrei ein Experiment, wie Unseld an seiner Präsentation verriet. John Lasseter war derjenige, der die Idee hatte, die Regenschirmromanze nicht im typischen Pixarstil umzusetzen, sondern die Zuschauer mit der Frage zu konfrontieren, ob Elemente des Films echt sein könnten. Was das betrifft, wird sich Lasseter über folgende Anekdote freuen, denn zwei Mädchen hinter mir in der Reihe rätselten während den ersten Minuten des Film, wie das ein Disney/Pixar Film sein könnte, wenn doch gar nichts gezeichnet oder animiert sei. Die eine behauptete stur, dass es sich dabei nur um echte Filmaufnahmen handeln könne. Die andere tippte auf Puppen – einig waren sie sich darin, dass der Film nicht auf die klassische Pixarart entstanden sein konnte. Punkt, Satz und Sieg!
Unseld ging während seiner Präsentation kaum auf technische Aspekte des Films ein, sondern mehr auf die Ideenfindung und die erzählerische Umsetzung. Er bestätigte, was bereits im Vorfeld die Runde machte. Viele Arbeitsprozesse und Techniken – die bei anderen Animationsstudios oder VFX-Buden längst zum Alltag gehören – mussten von den Pixar Artists erst gelernt werden. Ganz banal, dafür umso amüsanter war das Beispiel, dass es für The Blue Umbrella keine Character Designs und Sheets im üblichen Sinne gab. Es sollten Alltagsgegenstände Leben eingehaucht werden, also wurden echte Mülltonnen, echte Rinnsteine, Regenrinnen und natürlich Regenschirme als Vorlage genutzt. Was aber besonders anfangs Mühe bereitete. Selbst mit dieser Vorgabe fielen die ersten Entwürfe verhältnismäßig cartoonig aus. Proportional übertrieben, zu große Schrauben, zu kleine Öffnungen. Umdenken war also angesagt. Den technischen Departments wurden deswegen mehr Freiheiten eingeräumt. Modeler konnten ohne konkrete Designvorgaben sich ans Werk machen – dasselbe in grün bei den Shadern und anderen Departments – ein Novum für Pixar.
Bruder im Geiste von Disneys Paperman
In The Blue Umbrella wird eine klassische Großstadtromanze auf abstrakte Weise erzählt. Boy meets Girl. Nur aus einer etwas verschobenen Perspektive über den Köpfen normaler Menschen. Blue Umbrella meets Red Umbrella. Pixars Film behandelt im Grunde die gleichen Themen wie Disneys Paperman, folgt derselben, simplen Prämisse und in beiden Fällen steht eine Technik im Hintergrund, die für die jeweiligen Studioverhältnisse als revolutionär angesehen werden kann.
Saschka Unseld verlässt sich in seinem Kurzfilm aber im Gegensatz zu Paperman nicht auf schicksalhafte, übernatürliche Ereignisse um das zarte Liebespaar zueinander zu führen, sondern seine beiden Protagonisten kämpfen aus eigenem Antrieb – zugegeben, und mit Unterstützung “städtischer Freunde” – um an das Ziel zu gelangen. Dass dürfte den Ausschlag geben, warum The Blue Umbrella am Ende einen positiveren Eindruck hinterließ als Disneys Oscar-nominierter Kurzfilm. Auch wenn es Regenschirme sind, verhalten sie sich glaubwürdig und erleiden wirkliche Schicksalschläge, die das Ende umso süßer schmecken lassen.
Die Story spielt in unserer Realität. Zu keinem Zeitpunkt kommt Zweifel auf, dass es sich hierbei nicht um eine echte Stadt mit atmenden Menschen handeln könnte. Das erzeugt einen interessanten Kontext, denn der Schirm interagiert nicht nur mit der Stadt und seiner Angebeteten, sondern auch mit seinem menschlichen Besitzer – auf eine abstrakte Weise, die die Fantasie stimuliert. Obwohl sich die Regenschirme auf der offensichtlichen Handlungsebene verlieben und es darum geht, ob und wie sich diese finden – wirkt das Geschehen auf der Menschenebene rationaler. Hier werden keine verliebten, lebendigen Gegenstände wahrgenommen, sondern wie das Leben so spielt, passieren Dinge einfach. Zufall. Pech. Whatever. Die Schirmbesitzer fügen sich nicht bewusst dem Willen ihrer Schirme sondern reagieren auf Einwirkungen. Mit Konsequenzen. Die letzte Einstellung des Films spricht für sich selbst. Wer führte wen zusammen? Die Schirme als bewusst liebende Figuren? Die Stadt als schicksalshafte Macht oder war es reiner Zufall, die Mensch und Schirm zu einander führten? In Paperman sind es simple, übernatürlich agierende Papierflieger, die kaum Raum für Interpretationen zulassen. In The Blue Umbrella dagegen darf darüber gestritten werden, welche Realitätsebene einem am meisten zusagt.
Bilder und Anekdoten
Einige Eindrücke von der The Blue Umbrella Präsentation findet ihr nach diesem Absatz. Der Regisseur zeigte unter anderem einen Fotovergleich zwischen dem sonnigen San Francisco und dem grauen Hamburg, um den Entwicklungsprozess der verregneten Stadt zu veranschaulichen. Schließlich sitzt Pixar in dem stets sonnigen Emeryville, was Regenrecherche erforderlich machte. Das Bild mit den beiden Aufnahmen von Blue Umbrella und Red Umbrella stammen aus dem Pitch für den Kurzfilm, der John Lasster davon überzeugte, dem Projekt grünes Licht zu geben. Der Pitch wurde von Sascha Unseld an der gestrigen Präsentation 1:1 wiedergegeben. Ohnehin war es interessant zu erfahren, dass jeder Pixarangestellte drei Ideen für Kurzfilme einer Jury vorstellen darf (bei Unseld war beispielsweise Pete Docter einer der Juroren). Eine Idee wird daraufhin ausgewählt und darf anschließend John Lasseter persönlich vorgetragen werden, der dann über den weiteren Verlauf entscheidet.
Eine singende Stadt hätte den Rahmen gesprengt
Ein zusätzliches, ausschlaggebendes Element, warum diese Geschichte grünes Licht von John Lasseter bekam, war die Stadt selbst. Ein früher Entwurf sah vor, dass die Stadt neben den Regenschirmen eine Art dritte Hauptfigur verkörpern sollte – die dazu noch vor allem am Anfang singen sollte. Lasseter selbst war einer der größten Verfechter von dieser Idee. Eine fotorealistische Stadt, die ausserhalb der menschlichen Wahrnehmung lebendig wird und singt. Das war lange Zeit eine treibende Kraft des ganzen Filmkonzepts – was jedoch, als der Film zu 80% fertig gestellt war, auf Anraten von John Lasseter wieder verworfen wurde. Singende Schaufenster, Gehwege oder Briefkästen hätten den Fokus zu sehr von der Lovestory weg genommen und zuviel Screenzeit beansprucht, was auf Kosten der Haupthandlung gegangen wäre.
The Blue Umbrella als Vorfilm von Die Monster Uni
Die deutsche Weltpremiere darf wohl einigen glücklichen Umstände zugeschrieben werden. Zum einen stammt Saschka Unseld wie bereits erwähnt aus Deutschland – unter anderem arbeitete er an dem Oscar-nominierten, deutschen Kurzfilm Das Rad mit, aber auch die zeitliche Nähe zwischen der Berlinale und dem Kinostart von Die Monster Uni (Monsters University) hat sicherlich dazu beigetragen. Schließlich wird der kleine blaue Regenschrim im Vorprogramm des Monster AG-Prequels laufen. Abschließend noch das frisch veröffentlichte Poster zum Film, das mit seinem Fotorealismus kokettiert.